Bildungsjahr 2010 – ein Rückblick
Das Bildungsjahr 2010 begann mit einem Missbrauchskandal: kirchlichen und reformpädagogischen Einrichtungen wurde vorgeworfen, jahrelang zugesehen zu haben, wie Kinder von Pädagogen sexuell missbraucht wurden. Die Frage nach Aufarbeitung, Entschädigung und der Zukunft der betroffenen Institutionen überschattete die Diskussion um allgemeine Schulreformen. Das liberale (Groß-)Bürgertum hatte mit sich zu tun und ist noch heute zwischen ernsthaftem Entsetzen und eifriger Deckelung festgeklemmt.
Implodieren die einen Leistungsträger, sehen sich die anderen im Aufwind. In beispielloser Weise hatten in Hamburg Gegner des längeren gemeinsamen Lernens ihre Machtstellung innerhalb der Gesellschaft für ihre Politik der Ressentiments missbraucht. Im Sommer kippten sie per Volksentscheid die Primarschule und fegten mithin den politisch-liberalen Teil der Hamburger CDU samt schwarz-grüner Regierung vom Tisch. Um alle Schulreformen zu verhindern, bekam der Initiator der Bewegung, Walter Scheuerl, einen Listenplatz bei der Hamburger CDU für die bevorstehenden Bürgerschaftswahlen. Schulpolitik wurde so zum Vehikel rechter Politik schlechthin.
Doch es gab auch Impulse. In Nordrhein-Westfalen wurde durch Rot-Grün die Möglichkeit für Gemeinschaftsschulen eröffnet. In Flächenländern gewinnen diese allein aufgrund des demografischen Wandels immer mehr Anhänger. Berlin ist auf dem Weg neben den Gymnasien die Sekundarschulen zu Schulen umzubauen, in denen heterogene, individuelle Lernformen eine Rolle spielen, Sitzenbleiben irrelevant wird und die einen alternativen Weg zum Abitur anbieten. Nach der Wahl in Hamburg 2011 könnte man von einer rot-(rot?)-grünen Regierung erwarten, dass diese den Rechtskurs umkehrt, zumindest anhält. Auch wenn es (noch) keine Schule für alle geben wird, sollte die Zweigliedrigkeit ausgebaut werden. In dem Maße, wie sich Deutschlands Bildungsbürgertum zerlegt, wird 2011 Neues entstehen.
Die Autorin ist Erziehungswissenschaftlerin und lebt in Berlin.
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