Von zehn Kandidaten sind neun ohne Chance
Die Unterstützung Russlands fehlt dem belarussischen Präsidenten diesmal allerdings
Wahr ist, dass sich der seit 1994 amtierende Präsident seine Vollmachten wiederholt durch strittige Verfassungsänderungen verlängern lassen hat. Dass er auch Wahlergebnisse manipulieren ließ, gab Lukaschenko selbst zu: Statt der offiziell verkündeten 82,6 Prozent habe er 2006 über 90 Prozent der Stimmen erhalten, aber ein solches Ergebnis habe er dem Westen nicht präsentieren wollen.
Lukaschenkos Gegner kritisieren freilich Manipulation in anderer Richtung. Sein damaliger Herausforderer Alexander Milinkiewitsch, der im Westen gerne als Held einer Revolution in Jeansblau gesehen worden wäre, reklamiert für sich und den zweiten Oppositionskandidaten Alexander Kosulin 30 Prozent der Stimmen, räumt aber ein, dass er Lukaschenko unterlegen war. Dessen Beliebtheit erkläre sich dadurch, dass er eine »verhältnismäßig hohe soziale Stabilität im Lande bewahrt hat«.
Diesmal tritt Milinkiewitsch gar nicht erst an, weil sich die Opposition nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnte. Die neun Herausforderer sind wenig bekannt, lediglich dem Schriftsteller Wladimir Nekljajew, der für eine Bewegung »Sag die Wahrheit« antritt, wird eine gewisse Popularität bescheinigt. Die politische Streubreite der anderen Präsidentschaftsanwärter reicht von national-konservativ über christlich-demokratisch und national-liberal bis zu sozialdemokratisch. »Nicht jeder ist besser als Lukaschenko«, urteilt selbst Milinkiewitsch.
Eines fehlt dem Amtsinhaber diesmal: die Rückendeckung der russischen Führung. In Moskau hat man Lukaschenko nicht verziehen, dass er die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens verweigert. Die aber wäre Voraussetzung dafür gewesen, dass Belarus russisches Öl und Gas weiter zu Freundschaftspreisen bezieht. Nicht zuletzt die preiswerten Importe hatten das »belarussische Wirtschaftswunder« und die soziale Stabilität gestützt. In Rage brachte die russische Führung überdies, dass Lukaschenko beste Kontakte zu Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili und zu Ahmed Sakajew – dem Emissär der tschetschenischen Separatisten – unterhält. Und Kurmanbek Bakijew, der im April gestürzte Präsident Kirgistans, darf aus dem Minsker Exil sogar gegen die von Moskau unterstützte Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa hetzen.
Lange bevor der Wahlkampf in Minsk begann, erwogen russische Polittechnologen daher, einen Oppositionspolitiker als Alternative zu Lukaschenko zu unterstützen. Doch da frühzeitig klar wurde, dass die Opposition weder willens noch in der Lage sein würde, Rivalitäten und Gezänk zurückzustellen, wurde das Projekt begraben. Zumal auch Lukaschenkos Gegner Distanz zu Russland pflegen. Daher trat pünktlich zum Wahlkampfstart Plan B in Kraft: Dauerbeschuss durch russische Medien. Zuerst wurde Lukaschenko als Pate mafiaähnlicher Strukturen porträtiert, dann legte Staatssender RTR mit äußerst kritischer Wahlkampfberichterstattung nach, obwohl auch Russland von westlichen Auguren immer wieder unfairer Wahlkampf vorgehalten wird. Dabei lässt Lukaschenko seinen Gegnern diesmal erheblich mehr Freiraum als bei früheren Wahlen: Unterschriftensammlungen verliefen nahezu reibungslos, die Bewerber dürfen auf genehmigten Meetings um die Gunst der rund sieben Millionen Wahlberechtigten werben und bei Rededuellen im staatlichen Fernsehen sogar gegen Lukaschenko stänkern – in dessen Abwesenheit.
Auch damit will Lukaschenko dem Westen Verhandlungsbereitschaft signalisieren. Im Mai 2009 war Belarus bereits der »Östlichen Partnerschaft« beigetreten, mit der die EU die ehemaligen Sowjetrepubliken politisch wie wirtschaftlich enger an sich binden will. Außenminister Sergej Martynow hatte zuvor erklärt, Minsk fühle sich jetzt stark genug für eine Öffnung seines Marktes gegenüber dem Westen, dafür bedürfe es keiner »orange, blauen, samtenen oder anderer Revolutionen«. Noch ist indes nicht entschieden, ob Brüssel diese Öffnung mit Toleranz gegenüber Lukaschenkos autoritärer Herrschaft belohnt.
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