- Kultur
- Politisches Buch
Alte und neue Feindbilder
Antisemitismus und Islamophobie in der christlichen Mehrheitsgesellschaft
Es ist ein unbequemes Buch. Wer es liest, wird über manches unbewusstes Vorurteil in seiner Umgebung oder auch bei sich selbst erschrecken. Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, und der Soziologe und Religionswissenschaftler Constantin Wagner untersuchten Judenhasses und Mulimfeindlichkeit in Deutschland.
Die Autoren machen bereits am Anfang klar, dass die Diskriminierung und Verfolgung der Juden während des »Dritten Reiches« nicht mit der Diskriminierung von Muslimen im heutigen Deutschland gleichgesetzt werden können. Die Verbrechen des Nationalsozialismus haben jahrhundertealte Bilder und Vorurteile, Geschichtsmythen und Klischees ermöglicht. Jüngste Brandanschläge auf Moscheen in Deutschland und der Mordanschlag auf einen Kurden aus Irak in Leipzig erinnern aber durchaus an brennende Synagogen und erschlagene Juden im Deutschland unterm Hakenkreuz. Insofern ist ein Vergleich möglich. Darum greift auch dieses Buch die Mahnung »Wehret den Anfängen!« auf. Und nicht von ungefähr warnte Sabine Schiffer kürzlich in der Sarrazin-Debatte vor den Konsequenzen einer Pogromhetze.
Dieses Buch geht aber weit über Warnungen hinaus. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass Aufklärung und Kritik an antimuslimischen, rassistischen Vorurteilen zwar notwendig ist, aber auch wohlmeinende Äußerungen über das grundweg Gute und Humane im Islam, Verweise auf dessen wesentlich unblutigere Geschichte als die des Christentums, christlicher Missionare und Eroberer, tief sitzende Vorurteile nicht beseitigen. Zitate aus der Bibel und dem Koran beweisen, dass die Heiligen Bücher dieser beiden Weltreligionen in Blutdurst und Rachegelüsten einander um nichts nachstehen.
Schiffer/Wagner untersuchen die sozial-ökonomischen Funktionen des alten und neuen Feindbildes. Wie in den politischen und wirtschaftlichen Krisen des ausgehenden 19. Jahrhunderts die Ängste vor den Juden geschürt, mobilisiert und instrumentalisiert wurden, so führen heute offenbar die Folgen des globalisierten Kapitalismus zu ähnlich bizarren »Befürchtungen« vor neuen »Weltverschwörungen«. Schiffer liefert ein grobes Porträt der sich selbst ins-zenierenden akademischen Krisenverlierer aus dem untergehenden Mittelstand, stellt islamophobe Internetportale, obskure Bürgerinitiativen gegen Moscheebauten und antimuslismische Karikaturen vor. Sie zeigt anschaulich, mit vielen Bildern und Zitaten, die Parallelen auf: Die berüchtigten Webblogs der Gegenwart etwa erinnern in ihren endlosen Auflistungen von muslimischen »Untaten« an die Sammlung »jüdischen Vergehens«, die Hans Diebow 1938 für die Ausstellung »Der ewige Jude« herausgab; sie sollte die Weltverschwörung der Juden beweisen, garniert mit Zitaten aus der Thora.
Während der Antisemitismus heute im Bildungsbürgertum verpönt ist, war er im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in dieser Schicht stark verwurzelt. Dies ist heute hinsichtlich Islamophobie zu registrieren. Antiislamische Haltungen finden sich in den widersprüchlichsten politischen Lagern, unter Neoliberalen, Feministinnen, christlichen Fundamentalisten, Humanisten, sogenannten Populisten und nicht zuletzt bei Rechtsextremen, Neo-Nazis und den sogenannten Antideutschen. Nirgends ist man sich so einig wie im gemeinsam ausgemachten Feindbild Islam. Er sei schuld am Elend der Unterdrückten und Benachteiligten in der Mehrheitsgesellschaft.
Schiffer/Wagner beendeten ihr Buch nicht, ohne Gruppen, Projekte und Personen zu ehren, die sowohl den Antisemitismus als auch die Islamophobie in Deutschland zu überwinden bestrebt sind. Sie können auf beachtliche Erfolge verweisen.
Dieses Buch ist für die aktuelle Debatte über »gute« und »böse« Muslime eine reichhaltige argumentative Fundgrube. Wie Antisemitismus nichts über Juden, aber viel über die Antisemiten selbst verrät, so entlarvt die Islamophobie die moralische und mentale Verfasstheit der Islamophoben und der Mehrheitsgesellschaft, in der deren Thesen – leider – auf fruchtbaren Boden fallen, also letztlich über den Zustand der Republik und den Zustand unserer Demokratie.
Diesem Buch sei ein weite Verbreitung gewünscht – gerade auch als ein kluges Anti-Sarrazin-Traktat.
Sabine Schiffer/Constantin Wagner: Antisemitsmus und Islamophobie. Ein Vergleich. HWK-Verlag, Wassertrüdingen. 260 S., br., 16 €.
Unser Rezensent, Rechtsanwalt in Berlin, hatte im August Strafanzeige gegen das Buch von Thilo Sarrazin erstattet (s. ND v. 4.9.); www.menschenrechtsanwalt.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!