Heer der Sklaven – weggetreten!

Vorerst zum letzten Mal wurden gestern Wehrpflichtige in Bundeswehr-Kasernen eingezogen / Der Zwangsdienst war nie – wie behauptet – ein Element der neuen deutschen Demokratie

  • Lesedauer: 5 Min.

Alle Soldaten woll'n nach Haus,
alle Soldaten woll'n nach Haus.
Sie woll'n die Uniform nicht mehr,
den Stahlhelm und das Schießgewehr
und auch nicht in den Kampf hinaus.

Soldaten woll'n nur eins:

Sie woll'n nach Haus!
Reinhard Mey

*

»Morjen, Komp'nie!« »Guten Morjen, Herr Hauptm'n!« Es folgte die Ansprache des in der Regel altgedienten Chefs an die neuen Kameraden, die »in eine fest gefügte Gemeinschaft« hineinwachsen sollten, um sich in ihrer »zweiten Heimat wohlzufühlen«. So war das am 7. April 1957 in den Kasernen der Bundeswehr, als die ersten Wehrpflichtigen einrückten.

Gestern nun rückten die (zumindest vorerst) letzten Wehrpflichtigen ein. Insgesamt werden nach Angaben des Verteidigungsministeriums etwas mehr als 12 000 junge Männer ihren Dienst antreten – gut 6400 beim Heer, 1400 gingen zur Luftwaffe und 700 werden bei der Marine ihren Dienst ableisten. Bei der Streitkräftebasis und dem Zentralen Sanitätsdienst haben 2800 beziehungsweise 850 Wehrpflichtige ihre »Plünnen« bekommen.

Bereits zum 1. März dieses Jahres werden nur noch Freiwillige eingezogen. Damit wird die Bundeswehr nach jahrelangem, zum Teil erbittert geführten Streit zur Freiwilligenarmee. Das geschieht früher als ursprünglich geplant. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hatte sich ursprünglich darauf verständigt, die Wehrpflicht erst zum 1. Juli auszusetzen, nicht abzuschaffen. Wer gestern zu Hause blieb, muss nicht mal mehr mit Sanktionen rechnen.

Millionen junger Männer haben seit 1957 der Bundesrepublik einen Teil ihrer Lebenszeit abtreten müssen. Anfangs waren es zwölf Monate, nach dem Bau der Berliner Mauer sogar eineinhalb Jahre. Danach reduzierte man die Dienstzeit der immer mehr zu Soldaten zweiter Klasse gewordenen Wehrpflichtigen auf fünfzehn, zwölf, zehn, neun und zuletzt auf nur noch sechs sinnlose Monate. Grund für den Sklavendienst »beim Bund« war nicht der Wille, aus Müttersöhnchen Männer zu formen. Der Kalte Krieg forderte potenzielle Opfer. Wer – wie das Gesetz es erlaubte – verweigerte, musste bis 1976 sein Gewissen überprüfen lassen. Modell: Sie gehen mit Ihrer Freundin durch den Park. Da lauert der Iwan, will ihrer Freundin an die Wäsche. Was tun Sie?!

Man hat viele Gründe herbeigeredet, um die wahren Gründe des allgemeinen Drills zu verdecken. Man stützte sich auf das ewige Preußentum – um es zugleich fernzuhalten. Die »feste Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung« war stets eine Lüge. Man wollte, so hieß es, garantieren, dass die Armee eines demokratischen Staates auch eine demokratische Armee ist. Kein Kastengeist, nichts Elitäres sollte in ihr Raum greifen können, sagten die Erfinder der sogenannten Inneren Führung. Mit der Realität hatte das immer weniger zu tun. Die nach der Vereinigung beider Deutschlands erreichte radikale Reduzierung der Streitkräfte führte dazu, dass letztlich nur noch 15 Prozent eines Geburtsjahrgangs in die Kasernen geschickt wurden. Wehrgerechtigkeit ade! Formal ist fast die Hälfte der gemusterten jungen Männer untauglich – weil die Truppe ihre Ansprüche hoch geschraubt hat, um nicht mehr einzuziehen, als sie auch unterbringen und ausbilden kann. Beklagt wurde das schon lange. Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) packte als erster Verantwortlicher das heiße Eisen an. Er folgte damit – wie er betonte – auch der finanziellen Lage.

Dass die Truppe dennoch nicht auf den immer ineffizienteren Wehrdienst verzichten wollte, hatte vor allem mit der Nachwuchsgewinnung zu tun. Wer schon in der Uniform steckt, wer »draußen« nur wenige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt hat, bleibt eher, um sich für eine längere Verwendung zu verpflichten. Die ist notwendig für den Einsatz im Ausland. Und dafür ist die Bundeswehr fast ausschließlich noch da. Was wirklich vorgeht beim Bund im Einsatz, erfährt die Öffentlichkeit so immer weniger.

Die Bundeswehr schrumpft – von derzeit gut 240 000 auf 185 000 Soldaten. Jetzt sollen 7 000 bis 15 000 Freiwillige pro Jahr in die Kasernen einrücken. Die Bundeswehr wird noch lange brauchen, bis sie reformiert ist. Als Technisches Hilfswerk-Ersatz wird die Bundeswehr immer weniger tauglich sein. Alle, die ihr gern Polizeiaufgaben im Inneren zuweisen wollen, müssen weitere Argumente für ihren Verfassungsbruch sammeln. Welche Rolle soll der mächtige Reservistenverband spielen? Was bietet man Regionen als Ausgleich an, die bislang von der Bundeswehr gelebt haben? Wie verkraften die Universitäten den aktuellen Run auf ihre Hörsäle und wo werden zusätzliche Ausbildungsplätze in Industrie und Handwerk geschaffen? Zapfenstreich ist auch für den Zivildienst angesagt. Wie werden die sozialen Dienste, deren Existenz bislang aufs Engste mit dem Wehr-, also auch dem Zivildienst verknüpft war, ihre wachsenden Aufgaben erfüllen? Die Gesellschaft insgesamt wird sich umstellen müssen.

In Deutschland wurde die Wehrpflicht schon mehrmals abgeschafft. Und zwar immer dann, wenn die Schlachten geschlagen und verloren wurden. 1918 war das so und 1945 auch.

1990 ging zum Glück nur ein Kalter Krieg zu Ende. Die DDR unterlag. Und wie auf vielen anderen Gebieten auch hat sich das nun größere Deutschland einer Chance beraubt. Da man plötzlich ohne Feind und nur noch von Freunden umgeben war, hätte man schon damals den militärischen Zwangsdienst beenden können. Hätte ...

In der DDR war die Wehrpflicht am 24. Januar 1962 – also Jahre, nachdem das in der BRD geschah – eingeführt worden. Die Verfassung von 1949 sah sie eigentlich nicht vor. Am 26. September 1955 wurde sie jedoch geändert. Der Artikel 5 erhielt einen neuen Absatz 4: »Der Dienst zum Schutze des Vaterlandes und der Errungenschaften der Werktätigen ist eine ehrenvolle nationale Pflicht der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik.«

Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 goss man daraus eine gesetzliche Pflicht. Erstens, weil sich die Spannungen zwischen den Weltsystemen verschärften und zweitens, weil für junge DDR-Männer nun nicht mehr die Möglichkeit bestand, vor dem Wehrdienst ins demilitarisierte Westberlin zu flüchten. Dieser Ausweg wurde indessen eifrig von westdeutschen Altersgenossen genutzt. hei

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