Bildung statt Gutscheine
Hamburger Linkspartei kritisiert Kita-Finanzierung
ND: Die Hamburger Linkspartei setzt auf steuerfinanzierte, gebührenfreie Kitas. Beschäftigte befürchten, dass das nötige Geld über Arbeitsdichte erwirtschaftet wird. Können Sie diese Sorgen verstehen?
Yildiz: Gebührenfreie Bildung darf es natürlich nicht auf Kosten der Erzieher und Kinder geben. In einem steuerfinanzierten System würden Beschäftigte unter besseren Bedingungen arbeiten können, wenn gleichzeitig der Erzieher-Kind-Schlüssel verbessert wird. Auf mehr Erzieher kämen weniger Kinder. Das wäre der Rahmen für pädagogisch sinnvolle Arbeit.
Ist es nicht sinnvoller, das Geld in soziale Brennpunkte zu stecken, damit dort die Kinder gezielt gefördert werden?
Natürlich müssen zusätzliche Gelder in soziale Brennpunkte gesteckt werden, insbesondere, da die Bedürfnisse dieser Kinder deutlich höher sind. Gleichzeitig sind wir aber gegen die Kitapflicht.
Was ist mit einer gesetzlichen Verpflichtung, das Kind in eine Kindertagesstätte (Kita) zu geben?
Wir meinen, die Eltern sollen selber entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Kita geben oder nicht. Anstelle einer Verpflichtung wollen wir einen Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr, ganztägig für alle Kinder unabhängig vom Status der Eltern. Im Zusammenhang mit der Primarschule hatte Schwarz-Grün im Koalitionsvertrag einen Anspruch ab zwei Jahren festgelegt. Horte sollten aus den Kitas in die Schulen verlegt werden, so dass Kitas Raum für Krippenplätze bekämen. Mit den Horten will der Senat in diesem Jahr beginnen. Also müsste man diesen auffordern, auch den Rechtsanspruch für Zweijährige umzusetzen und nicht wie geplant erst 2013. Wir haben mit unserem finanzpolitischen Sprecher die Kosten durchgerechnet: Könnte man in Hamburg einen konsequenteren Steuervollzug durchsetzen, hätte man etwa 200 Millionen Euro mehr im Haushalt. Die Forderungen des Landeselternausschusses – ein Rechtsanspruch ab zwei Jahre, Verbesserung des Personalschlüssels, Rücknahme der Gebühren – wären sofort finanzierbar.
Aber nicht wenige Menschen favorisieren eine Kitapflicht für sozial Benachteiligte ...
Bereits den jetzigen Rechtsanspruch für Drei- bis Sechsjährige nehmen über 90 Prozent der Eltern wahr. Sie geben ihre Kinder freiwillig in die Kitas. Das macht deutlich, dass Eltern, wenn sie das Recht dazu haben, auch ihre Kinder in die Kita geben. Ich möchte keinen in die Situation bringen, dass das Kind irgendwann mit der Polizei abgeholt wird. Deswegen bin ich für den Rechtsanspruch und nicht für die Verpflichtung.
Wird das Recht auf einen Kitaplatz nicht zu einem Boom privater Kitas führen?
Man muss gesetzlich regeln, dass private Einrichtungen gemeinnützig unter staatlicher Kontrolle werden. Ich bin nicht gegen Eltern-, Nachbarschafts-, Genossenschafts- oder Erzieherinitiativen. Ich bin dafür, dass kleinere Einrichtungen eine Chance haben sollen, aber ich bin dagegen, dass Konzerne, die profitorientiert arbeiten, kommen und eine Kita eröffnen. Beim jetzigen Kita-Gutscheinsystem können sich Großunternehmen bewerben und Kitas eröffnen. Durch die Pauschalisierung der tatsächlichen Kosten profitieren die Träger, die untertarifliche Löhne zahlen.
Welche Folgen hatte das Kita-Gutscheinsystem für die Eltern?
Bei dem 2003 eingeführten Kita-Gutscheinsystem wird die Berufstätigkeit der Eltern zugrundegelegt und nicht das Bedürfnis der Kinder. Das heißt, Eltern, die arbeiten gehen, haben einen Rechtsanspruch ab Geburt auf einen Kitaplatz von fünf Stunden. Je nach Einkommen muss der Mehrbedarf selbst gezahlt werden. Kindern, bei denen nur ein Elternteil berufstätig ist, wird ein Rechtsanspruch ab drei Jahren gewährt. Von 2003 an wurden die Sach- und Personalkosten pauschaliert. Steigen nun Tarife oder Sachkosten, die Pauschale aber nicht, entstehen Kosten, die durch mehr Kinder pro Erzieher oder durch untertarifliche Entlohnung gedeckelt werden. Deshalb sind wir gegen die Pauschale und wollen, dass die gesamten, tatsächlich anfallenden Kitakosten von der Stadt übernommen werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.