Zerstritten in die Großfusion
Im Zuge der Hochtief-Übernahme durch den ACS-Konzern haben sich Betriebsrat und Gewerkschaft völlig überworfen
Der Stein des Anstoßes wurde unmittelbar vor Weihnachten gelegt. Der Vorstand der Gewerkschaft IG BAU und die Spitze des ACS-Konzerns vereinbarten für den Fall einer Übernahme von Hochtief durch die Spanier, was sich ein Gewerkschafter nur wünschen kann: Einhaltung geltender Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Mitbestimmungsregeln, Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, Anerkennung der IG BAU als Sozialpartner, sogar das Weiterbestehen von Hochtief mit Sitz in Essen.
Nähe zum Konzernvorstand
Was die Zusagen wert sind, wird sich zeigen. In der Gewerkschaft selbst hat die Übereinkunft dagegen schon viel Sprengkraft entwickelt – bis hin zur Austrittsankündigung des Betriebsratschefs Siegfried Müller. Ein solcher Schritt wäre eine Zäsur. Eine besondere Nähe zwischen den Spitzen deutscher Konzernbetriebsräte und dem »eigenen« Vorstand gehört zwar zur »Mitbestimmungskultur« – wie etwa 2003, als führende Auto-Betriebsräte dem ostdeutschen Metaller-Streik für die 35-Stunden-Woche in den Rücken fielen. Dass aber Betriebsratsgranden wie Klaus Franz (Opel) oder Uwe Hück (Porsche) jemals die Gewerkschaft verlassen könnten, war bisher kaum vorstellbar.
IG BAU-Chef Klaus Wiesehügel, zugleich im Hochtief-Aufsichtsrat, will am Verhandlungstisch einen Prozess mitgestalten, den er nicht verhindern zu können glaubte. Man habe nur vorsorglich gehandelt. Müller aber sieht sich hintergangen: Wiesehügel habe im Alleingang gedealt, statt seinen Einfluss gegen die Übernahme zu stemmen. »Es war dem Betriebsrat bekannt«, kontert ein Gewerkschaftssprecher auf Nachfrage. Die Verhandlungen mit den Spaniern seien angekündigt worden. Müller könne »beim besten Willen nicht behaupten, er habe nichts gewusst«.
Bei der Gewerkschaft wittert man indessen offenbar Kumpanei. Tatsächlich hatte Müller öffentlich im Radio eine seltsame Vertrauenserklärung gegenüber Vorstandschef Herbert Lütkestratkötter abgegeben: Nur der Vorstand kenne den richtigen Zeitpunkt für Verhandlungen mit ACS, hatte Müller gesagt. Er »glaube nicht, dass das die Sache des Betriebsrats oder von irgendjemand anderem sein kann.«
Wiesehügel konterte: »Es ist schon etwas seltsam, wenn ein Betriebsratsvorsitzender sagt, meine Entscheidungen werde ich nicht selbst treffen«, so der Gewerkschaftschef: »Manche mögen sich fragen: Wofür braucht man einen Betriebsrat, wenn dieser sagt, das werde ich nicht tun, ich werde nicht verhandeln, sondern das überlasse ich dem Vorstand.« In Gewerkschaftskreisen heißt es zudem, nicht alle arbeitnehmerseitigen Aufsichtsräte führten den satzungsgemäßen Anteil ihrer Tantiemen an die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung ab – was auf einige Distanz zur Gewerkschaft deuten würde.
Rückholaktion der IG BAU
Um nunmehr »Missverständnisse« und »Falschinformationen« aus der Welt zu schaffen, will der IG BAU-Vorstand bald die Hochtief-Betriebsräte treffen und alle Mitarbeiter persönlich ansprechen, die in den letzten Wochen ausgetreten sind. Eine »Falschinformation« sei auch die Meldung, Wiesehügel wolle Hochtief-Arbeitsdirektor werden. »Alles Quatsch«, so ein Gewerkschaftssprecher: »Wir lassen uns nicht kaufen!«
Ein wenig erinnert das alles an die Übernahmeschlacht um Mannesmann vor 11 Jahren. Damals fügte sich Mannesmann-Chef Klaus Esser nach dem Abwehrkampf – für 60 Millionen DM. Auf ihre Weise könnten nun auch Lütkestratkötter und Vorstandskollegen »umdenken« – und die von Mitarbeitern in den letzten Tagen vor laufender Kamera auf dem Betriebsgelände gehissten Deutschlandfahnen wieder einholen.
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