Die Geber warten auf die neue Regierung

Trotz milliardenschwerer Zusagen stockt die Aufbauhilfe

  • Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Als die Erde am 12. Januar zu grollen und zittern begann, glaubten viele Haitianer, der Jüngste Tag sei angebrochen. Haiti erlebte das schwerste Beben in der Geschichte Nord-und Südamerikas und weltweit das verheerendste des 21. Jahrhunderts.

Es war eine angekündigte Katastrophe. Seismologen und der haitianische Filmemacher Arnold Antonin hatten monatelang vor »Goudou Goudou« gewarnt. So nennen die Haitianer die Erderschütterung inzwischen in der Landessprache Kreyól, nach dem Geräusch, das bei dem Beben entsteht.

Fotostrecke: Cholera-Epidemie in Haiti

»Niemand hat reagiert«, sagt der 68-Jährige Filmregisseur, der unmittelbar darauf zu seiner Kamera griff und mit den Aufnahmen für seinen Dokumentarfilm »Chronik einer angekündigten Katastrophe« begann. Der Staat wurde in seinen Grundfesten getroffen, Regierungsgebäude zerstört, Politiker und Beamte starben. Die Regierung war kopflos. Vom Staatspräsidenten René Préval hörte die Bevölkerung wenig. Auch die UN-Stabilisierungstruppe MINUSTAH verlor in den Trümmern ihres zusammengefallenen Hauptquartiers ihre Chefs. Aber das Armenhaus Haiti, in dem über 60 Prozent der Bevölkerung weniger als 80 Eurocent für den täglichen Lebensunterhalt haben, erlebte eine ungewohnte Solidarität. Aus aller Welt trafen Flugzeuge mit Hilfsgütern und Suchmannschaften ein, die nach Verschütteten suchten. Die Nothilfe hat funktioniert, für den Wiederaufbau des Landes wurden sogar fast zehn Milliarden US-Dollar auf einer Geberkonferenz im März 2010 in New York zugesagt.

Seitdem stockt die Hilfe, denn die haitianische Regierung amtiert zwar mit einem Notstandsgesetz und hat einen Wiederaufbauplan ausgearbeitet, die Details ist sie jedoch schuldig geblieben und gerade mal 15 Prozent der zerstörten Gebäude im Stadtzentrum der Hauptstadt Port-au-Prince sind abgetragen – von Neu- oder Wiederaufbau keine Spur. In den Vorstädten sind die Menschen vielmehr auf private Inititative angewiesen.

Dafür hat sich die innenpolitische Krise im Armenhaus Lateinamerikas verschärft. Staatspräsident René Préval versucht die Situation zu nutzen, um sein Amt über die in der Verfassung festgelegte Zeit hinaus zu behalten. Nur nach internationalem Druck akzeptierte er den vorgesehenen Wahlkalender. Aber Proteste gegen die Untätigkeit der Regierung sind an der Tagesordnung. Die Gelder für den Wiederaufbau wurden zurückgehalten, weil im Ausland niemand mehr Préval und seiner Regierung traut. Man wollte ihn am 7. Februar loswerden und mit einer neuen Regierung des Vertrauens mit dem wirklichen Aufbau des Landes beginnen. So jedenfalls beschreiben Diplomaten hinter vorgehaltener Hand das anvisierte Szenarium für Haiti. Nur hat die internationale Gemeinschaft die Rechnung ohne den Wirt – René Préval – gemacht.

Dazu kam der Ausbruch der Cholera Mitte Oktober, die inzwischen über 3700 Menschenleben gefordert hat – und die UN diskreditiert, denn vermutlich ist die unsachgemäße Entsorgung der Latrinen nepalesischer Blauhelmsoldaten, die mit dem Erreger infiziert waren, für die Seuche verantwortlich. Seitdem verstummen die Stimmen im Land nicht mehr, die den sofortigen Abzug der rund 10 000 Blauhelmsoldaten und 2000 UN-Polizisten fordern.

Außerdem haben sich die politisch Verantwortlichen bei den Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wie Tölpel von dem 67-jährigen Agrarwissenschaftler aus der Kleinstadt Marmelade vorführen lassen. Der Wahlrat war von Préval handverlesen, die Stimmabgabe von Manipulationen so offensichtlich überschattet, dass 12 der 19 Präsidentschaftskandidaten eine Annullierung der Wahl forderten. Seitdem wird unter Aufsicht der OAS erneut ausgezählt. Dem Vernehmen nach haben die unabhängigen Wahlbeobachter ermittelt, dass auf die ehemalige First Lady Haitis, Mirlande Manigat, 31,6 Prozent der Stimmen entfielen, der Sänger Michel Martelly hätte demnach 22,2 Prozent erreicht und Jude Célestin – Prévals Schwiegersohn – läge mit knapp 21,9 Prozent nur auf dem dritten Platz. Wann es zu einer Stichwahl kommen wird, ist nach wie vor ebenso ungeklärt wie eine offizielle Verkündung der neuen Ergebnisse.

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