Zusammenklang der Stimmen
»Zu Fünft« im Moritzburger Kollwitz-Haus
Die Anzahl der Ausstellungen und Ausstellungsräume nimmt ständig zu. Und jeder Künstler sonnt sich im Glanz der eigenen Unverwechselbarkeit. Dabei kann die Nachbarschaft zu einem fremden Werk, eine gewisse entfernte Verwandtschaft vorausgesetzt, durchaus für beide Beteiligten steigernd wirken. Wenn der Betrachter zur Aufmerksamkeit auf eine geformte Welt gerufen wird, und mehrere Stimmen in verschiedenen Tonlagen tun das zugleich, so kommt dem größere Autorität zu. Ein schöner Kanon, in dem fünf Temperamente harmonisch versetzt in einander übergehend zur Geltung kommen und zuletzt in einen beeindruckenden Gesamtklang münden, ist derzeit im Moritzburger Käthe-Kollwitz-Haus zu erleben.
Auf den ersten Blick ist die dichte Hängung zumeist kleinerer Formate der beschränkten Hängefläche geschuldet. Aber eine überlegte Auswahl und wirkungsvolle Anordnung lässt jeweils den Anblick der Gemälde, Zeichnungen, Pastelle, Grafiken und Nadelmalereien genießen und danach erst nach dem jeweiligen Autor fragen. Mit eigenen poetischen Bildvorstellungen dem Chaos visueller Umweltverödung standzuhalten, verbindet alle Teilnehmer. Und der Zauber überträgt sich auf den aufgeschlossenen Betrachter. Er verfällt dem unaufdringlichen Regiment der melancholischen Landschaften, allegorischen Figuren, volkstümlichen Genrestücke, geheimnisvollen Strukturen und überraschenden Verbindungen.
Dass sich bei dreien der Künstler ein über viele Jahrzehnte gewachsenes Lebenswerk zur Auswahl anbot, begünstigte ein stimmiges Gesamtbild der Ausstellung. Bei der 1919 geborenen Ann Siebert liegen sieben Jahrzehnte zwischen der aquarellierten Federzeichnung »Pub in South Wales« (1936) und den vier Grafitstudien auf denen paarweise Hund und Herr jeweils in schöner Temperamentsentsprechung wiedergegeben sind. Ungefähr inmitten dieses Zeitraumes entstanden die wirkungsvoll schlichten Bilder des sorbischen Lebens und Brauchtums. Die Schleifenbänder an der Haube einer Radfahrerin wehen im Hintergrund des Bildes »Vorbereitung zum Osterreiten« (1978). Schon fertig herausgeputzt dagegen steht das »Sorbische Osterpferd« (1987) vor einem Hoftor, durch das in der Ferne die Züge des Oberlausitzer Berglandes ausgebreitet liegen. Eine muntere zahnlose Greisin schält Kartoffeln. Mit rotem Kopftuch turnt ein »Zirkuskind« (1960) unter den Zeltbahnen zwischen einem Spalier von Pferdehintern.
Auf einer Collage von Agathe Böttcher nistet eine mediterrane Kupferstich-Villa unter ausgeblühten Tuschverästelungen. In ihren Nadelmalereien werden textile Fundstücke mit gestickten Strichlagen verbunden. Alte Stoffe, deren Aufdrucke in den kleinen Proben durch fein aufeinander abgestimmte Farbigkeit kostbar leuchten, sind von farbigen Stickgarnfäden überfangen und zu einem Bildganzen erhoben.
Karen Grafs Bilder zeigen von menschlicher Fürsorge gehegte Landschaften. Beispielhaft für diese weiträumige Gestaltung ist die Umgebung des Moritzburger Teichgebietes und des Friedewaldes mit ihren alten Wiesenflächen und Teichspiegeln. Sie ist in vielen der Gemälde gegenwärtig, so »Am Frauenteich« oder wenn sich die Wasserfläche des Großteiches »Bei Moritzburg« (2010) hinter den Baumkronen breitet und durch die Breschen der »Dardanellen«-Mauer schaut.
Einer der ausstellenden Künstler verantwortet jeweils den Zusammenhang der Präsentation in der Reihe »zu fünft«. Er lädt die Teilnehmer und wählt die Anordnung. Diesmal war der Maler Peter Graf der Stifter der Gemeinsamkeit. Vor einer Staffelei auf den Boden gelagert porträtierte er eine geisterhafte Erscheinung mit Harlekinshut. Diese scheint dem Maler auf etwas hinzuweisen, was er abschildern soll. Wie St. Lukas und die Madonna auf Bildern alter Niederländer figurieren der Maler und der Geist seiner Inspiration in geheiligter Zweisamkeit. Auf einem großen Ölgemälde steht eine geschlossene Frauengestalt im bodenlangen Rock am Fenster des Ateliers. Anders als auf Caspar David Friedrichs bekanntem Bild, wo der Mast eines Elbseglers im Fenster erscheint, gibt dieses den Blick auf die Takelage von Oberleitungen frei, hinter der sich die Rohre eines Chemiebetriebes verzweigen.
Johanna Mittag entwickelt aus dem ungefähren Eindruck von Schilfstrukturen, den mehrdeutigen Linien einer schneebedeckten Landschaft verfeinerte Formulierungen. Ihre Pastelle sprechen sich in kräftigen Farbtönen aus, deren Flächen durch schwarze Linien abgesetzt sind. In den Mischtechniken herrscht eine mehr monochrome Skala aus Ocker, Braun und Grau. Johanna Mittag, die im Hauptberuf Violinistin der Staatskapelle Dresden ist, musizierte zur Eröffnung der Ausstellung Stücke von Hindemith und Lutoslawski.
Als Peter Graf vorgeschlagen wurde, vier Mitaussteller zu benennen, entschied er sich absichtsvoll und mit Seitenblick auf den Ort für Malerinnen. Während der letzten hundert Jahre erst ist der Stern der Frauen über der Kunstgeschichte aufgegangen, wo er nun unbestritten leuchtet. Ihr Anteil an den starken künstlerischen Handschriften ist inzwischen so groß, dass auch eine sehr persönlich wirkende Auswahl möglich wurde. Mit Agathe Böttcher teilt Graf einen frühen Freundeskreis, mit Karen Graf Haus und Heim, Johanna Mittag wohnt wie die beiden in Radebeul. Das Gefühl für Vereinfachungen, die nicht simpel sind, Abkürzungen, die vieles in sich aufnehmen, verbindet Peter Grafs Malerei mit der von Ann Siebert.
»Zu Fünft«, Agathe Böttcher, Peter Graf, Karen, Graf, Johanna Mittag, Priscilla Ann Siebert. Kollwitz-Haus Moritzburg, bis 31. Januar
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.