Der »Hauptpassagier« war in Eile
Polnische Reaktionen auf den Bericht zum Flugzeugabsturz bei Smolensk
Von einer »Verhöhnung des polnischen Staates«, einem Bericht von »Radio Jerewan«, sprach Jaroslaw Kaczynski, der Bruder des am 10. April durch den Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Präsidenten. Kaczynskis Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) veranstaltete unmittelbar nach der Vorstellung des Berichts in Moskau eine Pressekonferenz in Warschau. Aber auch andere polnische Politiker und Kommentatoren reagierten mehr oder weniger empört auf den Report der Moskauer Kommission. Deren Behauptung, der leicht angetrunkene Luftwaffenchef General Andrzej Blasik und andere Personen hätten im Namen des »Hauptpassagiers« – Präsident Lech Kaczynski – den Piloten an jenem nebligen 10. April zur Landung in Smolensk gezwungen und trügen deshalb die Schuld am Tod sämtlicher 96 Insassen der Tu-154, wird von vielen zumindest als »einseitig« verurteilt. »Unglaubwürdig« und »unsachlich« lauten andere Einschätzungen. So war denn auch der Tenor der Nachrichten und Kommentare auf etlichen Fernsehkanälen.
Herausgestellt wurde vor allem, dass ein am 16. Dezember nach Moskau übermitteltes 150-seitiges polnisches Dokument mit Fragen und Bemerkungen zur ersten Fassung des Berichts unbeachtet geblieben sei. Eine eventuelle Mitverantwortung der Besatzung des Towers auf dem Militärflugplatz Sewerny nahe Smolensk, die ebenfalls um fremde Personen ergänzt worden war, sei im MAK-Report ausgeschlossen worden. Der Tower hätte die Landung ausdrücklich verbieten müssen, sagte Innenminister Jerzy Miller als Vorsitzender der polnischen Untersuchungskommission. In einem Rundfunkgespräch kündigte er an, am kommenden Dienstag werde der volle Wortlaut der Gespräche im Tower veröffentlicht. Das Band mit dem Wortwechsel sei Polen nicht vom MAK, sondern aus einer anderen Quelle zur Verfügung gestellt worden.
Noch am Donnerstag sprach Miller mit Regierungschef Donald Tusk, der extra seinen Skiurlaub in den italienischen Dolomiten unterbrochen hat. Tusk steht unter Beschuss, weil er nicht auf einer polnisch-russischen Untersuchungskommission bestanden, sondern in den Monaten seit April mehrfach sein Vertrauen in die russische Aufrichtigkeit bei der Untersuchung des Unglücks zum Ausdruck gebracht hatte. Für den Premier bedeute der MAK-Abschlussbericht eine Niederlage, schrieb in »Rzeczpospolita« Chefredakteur Pawel Lisicki. Das nationalistisch-klerikale Blatt »Nasz Dziennik« klagte, die »pseudopsychologische Binsenwahrheiten der Frau General Tatjana Anodina (der MAK-Chefin – d.Red) wirken wie ein Paukenschlag auf die polnische Öffentlichkeit.«
Vor einem Missbrauch des Berichts im politischen Kampf warnte dagegen Grzegorz Napieralski, der Chef des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD). Dies diene nicht der Wahrheit. Der Report enthalte »schmerzhafte, aber harte Fakten« über die Vorbereitung und die letzten Minuten des Fluges. Die Rolle der Flugkontrolleure im Tower werde allerdings nicht genügend bewertet.
Über »die Banalität der Ursachen« des Absturzes äußerte sich Jaroslaw Kurski in der »Gazeta Wyborcza«: »Das Fehlen jeglicher Voraussicht, Unverantwortlichkeit und eine Entschlossenheit, um jeden Preis zu landen – das sind leider die Ursachen, die übermäßig die polnische Seite belasten.« Man könne die Schuld deshalb nicht jenen zuschreiben, »die nicht imstande waren, uns vor dem eigenen Wahnsinn zu bewahren«.
In Blitzumfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute ergaben sich knappe Mehrheiten für die Auffassung, dass es richtig sei, die Ursachen des Flugzeugabsturzes bei Smolensk den polnischen Piloten und anderen im Cockpit anwesenden Personen zuzuschreiben. 38 Prozent der Befragten verweisen auf die Mitverantwortung der russischen Besatzung des Towers.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.