Überlebender

Zoni Weisz / Der Sinto sprach zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag

  • Ina Beyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Es ist Zoni Weisz' zweiter Besuch im Bundestag. 1999 war er schon einmal hier, hatte zum 50-jährigen Bestehen des Parlaments Blumenschmuck gefertigt. Lange hatte er gezögert, ob er den Auftrag aus Deutschland annehmen soll.

Weisz ist Sinto, der einzige Holocaust-Überlebende in seiner Familie. Nur durch Zufall entkam er dem »Zigeunertransport«, mit dem am 19. Mai 1944 die niederländischen Sinti und Roma vom Sammellager Westerbork nach Auschwitz deportiert wurden. Drei Tage zuvor waren seine Eltern und die drei Geschwister in der Kleinstadt Zutphen, dem Wohnort der Familie, bei einer landesweiten Razzia verhaftet worden. Weisz war gerade bei einer Tante, entkam zunächst. Doch kurze Zeit später entdeckte man auch ihn und neun weitere Verfolgte in einem Waldversteck. Weil der Zug Westerbork schon verlassen hatte, sollten sie an einem anderen Bahnhof umsteigen. Ein niederländischer Polizist verhalf der Gruppe dort zur Flucht, als auf der einen Seite die Deportationswagen einfuhren und gegenüber ein anderer Zug hielt. Dorthin rannten die Verhafteten auf ein Zeichen des Polizisten und entkamen der Fahrt in den Tod.

Nach dem Krieg macht der Sinto eine Ausbildung zum Gärtner und Floristen, wird einer der Besten in seinem Fach und arbeitet viele Jahre für die niederländische Königsfamilie. Er erfährt, dass seine Familie im KZ umgebracht wurde.

1999 der Auftrag aus Deutschland. Das Zögern. Jetzt die Einladung, zum Holocaust-Gedenktag als erster Vertreter der Sinti und Roma vor den Abgeordneten zu sprechen. Als »vergessenen Holocaust« bezeichnet Weisz dort die Vernichtung von bis zu 500 000 Sinti und Roma im Dritten Reich. Die Medien hätten dem Thema wenig Aufmerksamkeit gewidmet, in vielen Gedenkreden sei das Schicksal der Minderheit kein Thema. Die Gesellschaft habe nichts daraus gelernt, »sonst würde sie heute verantwortungsvoller mit uns umgehen«, sagt Weisz.

Und hat Recht: Es ist noch nicht lange her, dass auch Deutschland – gerade Deutschland! – wieder 10 000 Sinti und Roma abzuschieben versuchte, die sich auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten. Zynisch: Die Meinung der Minderheit interessierte damals nicht.

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