Schwächelnder strategischer Partner
Aufbegehren im Land am Nil, aber keinerlei Zugeständnisse der Regierung an die Opposition / USA und Israel sorgen sich um Ägypten, weniger um die Ägypter
»Wir sind jetzt dran«, ruft die »Generation Mubarak«, die nie einen anderen Präsidenten erlebt hat, freie Wahlen nicht kennt und deren Bürgerrechte durch den Ausnahmezustand beschnitten werden, mit dem Hosni Mubarak seit 1981 das Land regiert. Größen aus Funk und Fernsehen, Sportler und Oppositionelle schlossen sich den Protesten am Dienstag an. Auch in anderen Städten Ägyptens gehen die Leute auf die Straße und fordern mal mehr, meist weniger gewaltsam den Abtritt eines korrupten Regimes.
Westliche Regierungen betonen den unschätzbaren Wert von »sozialen Netzwerken« wie Facebook und Twitter für den Protest der arabisch-islamischen Welt, erst in Tunesien, nun in Ägypten. Das mag für Studierende, Angestellte und Intellektuelle in den Städten eine wichtige Rolle spielen, doch Millionen Ägypter verfügen mangels Geldes genauso wenig über ein Handy und einen Computer wie über ein Obdach und genügend zu essen. Stattdessen haben sie wirkliche soziale Netzwerke – Familien, Arbeitskollegen, Nachbarschaften und Gemeinden –, denen die Bilder aus Tunesien, Jemen und Jordanien, aber nun schon den dritten Tag auch aus ihrem eigenen Land Mut machen. Arabische Medien berichten fast rund um die Uhr davon.
Die Regierung scheint wie gelähmt. Die Proteste folgten »privaten Plänen«, sagte Safwat al-Sharif, Generalsekretär von Mubaraks Nationaler Demokratischer Partei. »Einige Gruppen wollen die Situation ausnutzen und stellen unrealistische politische Forderungen. Sie sollten sich »von der Jugend fernhalten«, forderte Sharif.
Das Innenministerium beschuldigte die Muslim-Bruderschaft, die größte organisierte Opposition in Ägypten, die bis zu den jüngsten Wahlen mit 80 Abgeordneten im Parlament vertreten war. »Ägypten ist ein Rechtsstaat, und wir müssen ihn schützen«, sagte Sharif. »Mehr Stabilität bedeutet mehr Arbeit, Investitionen und Tourismus.« Zudem vertrete Präsident Mubarak »die Interessen der ärmsten Teile der Bevölkerung«. Die Regierung arbeite »hart, um die Probleme der Menschen zu lösen«.
Nicht hart genug, meinen nicht nur die vielen Demonstranten, sondern auch die westlichen Verbündeten Ägyptens. Sie befürchten, dass ihnen nach Tunesien ein weiterer Bündnispartner in der Region wegbrechen könnte. Auch in Israel, wo man den Wechsel in Tunesien noch begrüßte, scheint man in Sorge. Der Knesset-Abgeordnete Benjamin Ben-Eliezer, einst General und Minister für die Arbeitspartei, sagte, Israel könne »nichts tun«, außer Mubarak Unterstützung zuzusichern und zu »hoffen, dass die Unruhen sich bald beruhigen«. US-Außenministerin Hillary Clinton meldete sich aus Jordanien zu Wort, einem weiteren Wackelkandidaten in der arabischen Front westlicher Nahostpolitik. Sie forderte die ägyptische Regierung auf, umgehend zu handeln und Reformen einzuleiten, wenn sie ein Schicksal wie das des gestürzten Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien vermeiden wolle. Mubarak habe jetzt eine »wichtige Möglichkeit, noch rechtzeitig politische, wirtschaftliche und soziale Reformen einzuleiten«, um den Nöten und Interessen der Ägypter entgegenzukommen, mahnte Clinton. Robert Gibbs, Sprecher des Weißen Hauses, sagte dem US-Sender ABC, Ägypten bleibe ein »starker Verbündeter«. Gleichzeitig unterstreiche man die »universellen Rechte sich zu versammeln und seine Meinung zu äußern«.
Die USA meinten es jedoch ernst mit dem Reformaufruf an Mubarak. Weniger aus Sorge um die Rechte der Ägypter als vielmehr darum, was aus Ägypten als Verbündetem nach einem Fall Mubaraks werden könnte. Zu dem Ergebnis kommt der politische Analytiker Robert Danin, der anmerkt, ein politischer Wechsel durch die ägyptische Regierung selbst sei besser als ein Sturz derselben wie in Tunesien.
Ägypten ist der wichtigste strategische Partner bei der westlichen Absicherung Israels und wird militärisch und wirtschaftlich von den USA unterstützt, auch um die Palästinenser im Gaza-Streifen in Schach zu halten. Arabische Kommentatoren weisen derweil darauf hin, dass die gesamte Region den USA und ihren despotischen arabischen Bündnispartnern durch den neu erwachten Zorn der arabischen Massen entgleiten könnte. Zu lange habe das westliche Bündnis nur um seiner eigenen Interessen willen despotische arabische Regimes gestützt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.