»Das hier in Ägypten ist eine Revolution«
Deutsche Regierung soll aufhören, »Diktatoren zu unterstützen«
Die Sonne ist schon lange aufgegangen, doch erst gegen acht Uhr sieht man die ersten Autos auf den Straßen. Acht Uhr ist das offizielle Ende der Ausgangssperre, die seit Donnerstagabend jeweils für die Nachtstunden gilt und am Samstag auf 16 Stunden ausgedehnt worden war. Bis zu 50 000 Menschen hatten sich den ganzen Samstag über wie schon in den vorherigen Tagen auf dem zentralen Tahrir-Platz versammelt und weiter den Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak verlangt.
Ebenso deutlich brachten sie ihren Unmut über den neu ernannten Vizepräsidenten, Geheimdienstchef Osman Suleiman, und den neuen Ministerpräsidenten, den Luftwaffengeneral Ahmed Scharif, zum Ausdruck. Nur wenige der Demonstranten waren bereit zu gehen, als um 16 Uhr die Ausgangssperre begann.
Tahrir heißt Unabhängigkeit, dieser Platz ist also von hohem symbolischen Wert für die Ägypter, nicht nur, weil Ägyptens legendärer erster Präsident Gamal Abdel Nasser hier seine wichtigsten Reden hielt. Jenseits des Tahrir-Platzes, wo die Menschen die ganze Nacht über ausharrten, waren in der Nacht zum Sonntag die Straßen der ägyptischen Hauptstadt wie leer gefegt. Auf dem Internationalen Flughafen war kaum ein Wagen ins Zentrum der Stadt zu bekommen. Die wenigen, die fuhren, nutzten die Ausnahmesituation zu völlig überhöhten Fahrpreisen.
Da die Hauptverbindungsstraßen vom Militär gesperrt worden waren, suchte mein Taxifahrer seinen Weg durch abseits gelegene Wohnviertel. Weil sich die Polizei seit Freitagnachmittag zunehmend aus dem Straßenbild zurückgezogen hatte, haben sich Bürgerwehren zum Schutz ihrer Wohnviertel gebildet. Gespenstisch tauchen deshalb während meiner Fahrt durch Kairo Gruppen von Männern mit Holzstöcken auf, die den Wagen anhalten, das Fahrziel erfragen.
»Vom Flughafen nach Zamalek«, murmelt der Fahrer, zeigt seinen Ausweis und fragt, welcher Weg dorthin frei und sicher sei. Als die Männer sehen, dass eine Ausländerin im Wagen sitzt, nicken sie freundlich und zeigen dem Fahrer den Weg. »Willkommen daheim«, sagt ein älterer Mann lächelnd.
Vor dem Haus des Präsidenten im Stadtteil Heliopolis hat das Militär die Straße gesperrt, öffnet aber höflich nach der Ausweiskontrolle die roten Absperrgitter und wünscht »Gute Fahrt«. Das ärmliche Viertel Bolaq, wo Anfang des 19. Jahrhunderts noch viele Europäer lebten, ist von Kämpfen gezeichnet: Ausgebrannte Autowracks, Steine, Scherben, Reste von Barrikaden liegen über die Straße verstreut. Gruppen von Männern umringen das Taxi, fuchteln mit ihren Stöcken herum und schauen neugierig durch die Fenster. »Eine Ausländerin, willkommen«, rufen sie und geben rasch den Weg frei, nachdem der Fahrer erneut seinen Spruch »Vom Flughafen nach Zamalek« aufgesagt hat. Nur wenige Meter weiter sitzen die Männer rauchend in Straßencafés. In einem strahlend erleuchteten Obstgeschäft sind Birnen und Apfelsinen kunstvoll aufgetürmt, allerdings das einzige geöffnete Geschäft weit und breit.
»Dies ist eine Revolution«, sagt der Mediziner und Anthropologe, Prof. Youssef Zaki von der Ain Shams Universität der Stadt, der der oppositionellen Wafd-Partei nahe steht. Sollte sie gelingen, wäre es sogar die erste wirkliche Revolution, weil sie nicht nur die Hauptstadt sondern das ganze Land erfasst habe. Mubarak sei »eben so stur wie alle Ägypter«, er habe sich vorgenommen, als Präsident zu sterben, vorher werde er nicht abtreten.
Unklar sei derzeit, wie das Militär sich verhalten werde. Aber heute sei ein wichtiger Tag. »Entweder Mubarak oder das Volk, die Armee muss sich entscheiden«, ist denn auch auf einem der Transparente zu lesen, die die Demonstranten am Sonntagmorgen um den Tahrir-Platz tragen. Und während im Hintergrund die Menge einer Panzerbesatzung applaudiert, die sich mit ihrem Fahrzeug vorsichtig einen Weg durch die Demonstranten bahnt, sagt ein älterer Geschäftsmann mit zum Siegeszeichen erhobenen Fingern: »Dies ist der Anfang vom Ende! Und sagen Sie der deutschen Regierung, sie soll aufhören, Diktatoren zu unterstützen. Wir, das Volk, verdienen Unterstützung«.
Die Unruhen in Ägypten gefährden auch die antiken Kunstschätze des Landes. Im Ägyptischen Museum, wo der Schatz des Tutanchamun ausgestellt ist, kam es zu Plünderungen und Zerstörungen. Arabische Fernsehsender zeigten Bilder umgestürzter Figuren und eingeschlagener Vitrinen in der weltberühmten Sammlung. Die Direktorin des Museums, Wafaa el-Saddik, machte Wachpersonal und Polizisten dafür verantwortlich.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.