Wie ein Blödian
ALFRED KERR / Marginalien zum KLEIST-JAHR 2011
Das Deutsche Theater ist unter Max Reinhardt mit dem »Käthchen von Heilbronn« eröffnet worden. Auch bei dieser Aufführung wurde klar: das »Käthchen von Heilbronn« bleibt ein Stück, mit dem man nicht viel zu schaffen hat. Es gibt Werke, die einen großen Ruf besitzen, die sogar von einem Zauber in der Erinnerung umweht sind, – aber wenn man sie in der Nähe sieht, geben sie nicht viel. Die »Lustigen Weiber« gehören auch dahin. Das Käthchen vollends, dessen ferne Erinnerung genauso poesiehaft wirkt, wie die »Lustigen Weiber« lustig in der Erinnerung, das »Käthchen« ist ein fabelhaft schlechtes Drama.
Nur der erste Akt bedeutet in unserem Sinne Drama. Dann zergeht es, ist häufig abgeschmackt in den Plattheiten des Ritterschauspiels, und nur eine innere Hauptsituation hat seinen Ruf gemacht, sie schafft in der Erinnerung das Entzücken: Käthchens Verhältnis zum Ritter. Das Werk hat also mehr den Nimbus eines köstlichen Inhalts, als dass es ein köstliches Drama wäre. Ich habe mich beim Zuhören gequält und immer wieder gefragt (wenn etwa Wetter vom Strahl plötzlich über die Kunigunde äußert: »Die nehm ich zur Frau!«, wie ein Blödian), ich habe mich gefragt: warum soll ich denn nicht meine Stücke sehn? Unsere Stücke? Warum soll ich denn die Stücke vergangener Ideale sehn? Es bleibt schwer klarzumachen, worin Kleists Größe besteht. Er zeigt nicht jene gewaltige Tatsachengröße, die in allen Zungen Geltung hat. Wir hängen trotzdem daran, weil die sekundären, beschränkteren Herrlichkeiten, die er besitzt, uns an die Seele greifen. Er hat einen tiefen, unwägbaren Reiz, der am letzten Ende zweiten Ranges ist. (1905)
(Aus: Alfred Kerr: Mit Schleuder und Harfe – Theaterkritiken aus drei Jahrzehnten. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft Berlin 1981)
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