Der Wahnsinn

Berlinale: »Mein bester Feind«

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Jahr 1938. Dann 1942 und schließlich der Sommer 1945. Wien. Oder anderswo in Europa. Der deutsche Vernichtungskrieg gegen Menschen jüdischer Herkunft. Die Täter jeder Couleur, Mitläufer, Mitwisser, Wegseher eingeschlossen. Die Macht der Verführung. Die Bereicherung am jüdischen Eigentum und die Probleme der Restitution von Kunst und Kulturgütern. Die Rolle der Schweiz in der Nazizeit. Freundschaft. Liebe. Standhaftigkeit. Verrat. – Um all das und um nichts weniger geht es in Wolfgang Murnbergers Film »Mein bester Feind«, der als Weltpremiere im Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz lief und im März in Österreich und in Israel in die Kinos kommt. Dargeboten ist das Themenpaket als ungeahnte Variation auf »Kleider machen Leute« und »Der Hauptmann von Köpenick« in einer komplizierten Verwechslungskomödie, als ein TV-gerecht spannender Krimi um die Jagd nach einem materiell und kunstgeschichtlich wertvollen sowie weltpolitisch bedeutsamen Kunstwerk, als tiefernstes Drama über die Gräuel der Naziherrschaft – in einem. Das ist viel.

Eine starke Szene gibt quasi die Ouvertüre, im Vorspann noch: Nachdem über nächtlichem Himmel ein Militärflugzeug der Deutschen von polnischen Widerstandskämpfern abgeschossen wurde, erklingt Musik aus einem Grammofon: melodische Geigen. Zu diesen beschwingten Klängen fährt die Kamera an einer Parallelschnur Stacheldraht vorbei und an sich als Bestien gebärdenden Schäferhunden. Die Schallplatte, jetzt groß im Bild, wird angekurbelt vom Wiener Polizeichef, der unterm obligatorischen Hitler-Bildnis im Amtssessel seine Zigarre genießt. Im nächsten Moment wird ihm diese Idylle vermiest. Mit der »unfassbaren« Nachricht von einem Juden (!) im Flugzeug, und dass der, da es abgeschossen wurde, »unter allen Umständen« aufzugreifen sei.

Der Jude – das ist Victor Kaufmann, Sohn eines renommierten Wiener Kunsthändlers, als Juniorchef in das Geheimnis um den Verbleib einer Zeichnung Michelangelos eingeweiht. Gerade die ist es, die Hitler beim Staatsbesuch Mussolini zum Geschenk machen will. Ohne Michelangelos »Moses« kein Staatsbesuch, ohne Staatsbesuch: »Die Achse wackelt.« Ohne Victor aber ist das Rötelstift-Blatt nicht aufzufinden.

Victor Kaufmann hat – aus seiner Sicht – eine Art Halbbruder, den Freund Rudi Smekal, Sohn der Hausbesorgerin der reichen Kunsthändlerfamilie. Der hat sich jedoch immer nur als aussichtslosen Habenichts gesehen. In SS-Uniform, der der auch intellektuell weniger Begünstigte zu Victors Überraschung inzwischen trägt, kann er endlich seine Chance ergreifen, »auf die Butterseite wechseln«. Die Chance auch zum Zusammenleben mit einer geliebten Frau, der attraktiven Lena, Jugendfreundin sowohl Victors als auch Rudis, die sich unter wechselnden Vorzeichen der Zeit mal dem einem wie dem anderen verbindet. »Wenn der Wahnsinn vorbei ist«, gibt sie, so die Hoffnung der ins KZ geschickten Juden, das von Kaufmanns ihr überschriebene Vermögen an die Eigentümer zurück.

Victor Kaufmann ist auch derjenige, der den Freund aus dem abgeschossenen Flugzeug rettet, das den Juden in Begleitung des ihn denunzierten SS-Mannes zum Verhör nach Berlin hatte bringen sollen. Durch seine Geistesgegenwart in brenzliger Situation kommt es zu einem Kleidertausch. Victor kann sich in der Uniform der Verbrecher eine Galgenfrist erlisten. Rudi muss nun die Misshandlungen und Demütigungen, die Todesdrohung, die Juden zu erleiden haben, am eigenen Leibe erfahren. »Du Judenschwein!« ruft der empört. Paradierende Antwort Victors: »Selber!« Bald aber hat Rudi wieder Uniform und Macht.

Nach dem Kriege wird der von Victor »Mein bester Feind« Genannte ihm großzügig ein Gemälde aus dessen einstigem Eigentum überlassen. Doch der inzwischen schon international Hofierte weiß nicht, was Victor weiß: dass es geheimer Tresor des noch immer unendlich begehrten Michelangelo-Kunstwerks ist. Mit einem Standbild wird der Zuschauer aus dem Film entlassen: Victor, der Sieger, zwinkert Rudi triumphierend zu. Er hat allen – auch seinem Gott, der ihn wohl prüfen wollte – ein Schnippchen geschlagen.

Der österreichische Regisseur Wolfgang Murnberger, mit »Komm, süßer Tod«, »Silentium« und »Der Knochenmann« ausgewiesener Meister des absurden, schwarzen Humors, hat sich, nach dem Buch von Paul Hengge, respektvoll und verantwortungsbewusst dem Stoff genähert. Mit Moritz Bleibtreu als Victor, Georg Friedrich als Rudi, Ursula Strauss als beider Freundin und Udo Samel als Victors Vater hat er sich hervorragende Schauspieler gesichert. Seine mutige Nachfolge von Roberto Benignis »Das Leben ist schön« oder Dani Levys »Mein Führer« bringt erstmals einen – auch von Juden selbst erwünschten – Perspektivwechsel: sie nicht ausschließlich als Opfer darstellen, sondern in der Helden-Rolle. In der angestrebten Balance zwischen Ernst und Satire ist er jedoch seltsam unentschlossen. Und einen Moritz Bleibtreu, trotz KZ wohlgenährt und Uniform-gestrafft, lässt er weit unter seinem Können agieren.

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