Lockendes

Dresden: Welttheater des Tim von Veh

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 3 Min.

Tim von Veh ist besessen von der gestalterischen Potenz, die den Gelenken, Muskeln und Polstern des menschlichen Leibes innewohnt. Und Wissen darüber zu erlangen, war ihm seine Leidenschaft behilflich. So kommt es, dass seine Gestalten den Betrachter vom Papier anschnauben und ihm prachtvoll entgegenschwellen, nicht aufgrund geschickter zeichnerischer Vorspiegelung von Plastizität, sondern als eine sublimierte Kunst-Wirklichkeit. Bei aller Gewaltsamkeit erscheinen diese Figuren nicht vulgär, sondern eher grazil in ihrer Beweglichkeit, wie Rubens Frauendarstellungen. Die Fußballen, Fesseln und Finger sind fein durchgebildet und vornehm konturiert. Einen umfangreichen Fundus von Motivfragmente hat sich Tim von Veh erarbeitet. Die Bannung einer vor dem menschlichen Modell das Künstlerauge fesselnden Linie ist der schwerwiegendste und stiftende Teil seiner Arbeit. Wenn dieser Linienwurf gelungen ist, werden die Erfindungen in immer neuen Sinn- und Form-Zusammenhängen, bei Vorhandensein einer hinreichend großen Presse, zusammengedruckt, zumeist aber auf Papier, Maltuch oder die pure Wand zu neuen Wesen und Gruppen collagiert.

In den Räumen einer großbürgerlichen Villa am Rande des Dresdner Großen Gartens paradiert derzeit ein raumgreifendes Ballett in einer neuen, vom Künstler eigens für und in der Lokalität entwickelten Choreografie. Die Wände der Galerie wurden geweißt und auf dieser blütenzarten Makellosigkeit führt der Zeremonienmeister nun sein Welttheater auf. Eine grafische Apotheose menschlicher Körperlichkeit. Der Figuren-Strom verzweigt sich über alle Wände. Die Inschrift um ein Säulenkapitell garantiert in spanischer Sprache die Lösung des angegebenen Wertes der Staatsobligationen in purem Gold. Zum Schutz vor Nachahmung und Fälschung der teuflischen Papiere, die selber stets nur ungenügend vor Wertverfall schützten, wurden schwer nachahmbare künstliche Lineaturen und Ornamente in die Druckplatte gestochen. Diese subtilen Flächenfüllungen nennt man Guilloche oder Moiré. Man spürt wie der Künstler seine Lust am Füllwerk, an Borten und Rahmen zugunsten eines bildnerischen Entwurfs nur mit Mühe zähmen kann.

Ein Löwenhaupt speit Wölkchen, die bei genauerem Hinschauen aus kleinen Blütenkelchen bestehen, die wie Füllhörner wellige Formen hervorsprudeln lassen. Um ein Handgelenk klappern Münzen, mit Wappen, Eichenlaub, allegorischen Szenen und Turbanträgern. Die Hand redet eine graziöse Fingersprache. In karminrot und korallenrosa, pazifikblau und kernigem tiefem Schwarz sind die Figuren gedruckt. Kartuschen und Tabletts, Balustraden und Konsolen. Kein Wirrwarr, sondern kalkulierte Bewegtheit innerhalb derer gelegentlich Symmetrie als retardierendes Moment wirkt.

Gegenüber dem Eingang bricht ein Reiterfries auf. Die zwei vorderen Rösser sind leer gefegt, wie mit dem Messer abgeschoren. Figurenfragmente wirbeln neben und über der Türöffnung die Wand hinan. Im Viereck, das die Neonleuchten an der Decke bilden, wimmeln füllige Nixen, Rheintöchter in lockendem Spiel. Gegenüber stürzt die Prozession wieder die Wand hinab. Einige Figuren sind in die Kehle zwischen Wand und Decke geklebt. Ihre gefalzten Gestalten erinnern an die flachen Varieté-Marionetten, die im wilden Tanz durch plötzliches Umklappen der Scharniere die Charaktere wechseln. Eine Mulattin, eingedunkelt durch vielfach überkreuzte Strichlagen, fächert sich selbviert über einem wirklichen ovalen Fenster mit Jugendstilornamentik, die ganz verlegen und albern wirkt in diesem Zusammenhang. Himmelblaue verschränkte dralle Beine segeln aus einer rosa Seeschnecke herab. Man wird des Schauens nicht müde. Wenn die abendländische Kunst aus den Verrichtungen handwerklicher Bildschnitzer, Goldschmiede und Waffenätzer hervortrieb, so zieht sie sich nach mehreren Rotationen, die irrtümlich für Revolutionen gehalten wurden, zurück in zierliches Rankenwerk und geheimnisvolle Schneckenwindungen. Aber aus dem verödeten Tritonshorn rauscht fernher der fruchtbare Ozean, Heimat der fünfzig Nereiden und phosphoreszierender Fische mit Fransen, Stacheln und Hörnern.

»Theatrum mundi«, Tim von Veh, Collagen – Fresken. Galerie Margareta Friesen, Basteistraße 3, Dresden, bis 1. März, Di-Do 14-19 Uhr

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