»Verführt+gekauft=verschuldet. Armutsbekämpfung durch Schuldenprävention« - Unter diesem Motto findet die diesjährige bundesweite Aktionswoche der Schuldnerberatung statt, die am Samstag endet. 1200 Beratungsstellen waren aufgerufen, sich mit Aktionen und Veranstaltungen zu beteiligen.
Der Beratungsbedarf wächst, denn die Zahl der verschuldeten Privathaushalte ist dramatisch angestiegen. »Bundesweit sind 2,77 Millionen Haushalte überschuldet, also nicht mehr in der Lage, gleichzeitig die Kosten für ihren Lebensunterhalt und die laufenden Rückzahlungsraten für Verbindlichkeiten aufzubringen«, berichtet Claudia Kurz-Buch, Geschäftsführerin der »Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung« in Kassel, gegenüber ND. Die Folge sei häufig ein sozialer Abstieg, verbunden mit einem Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust, Partnerschaftsproblemen, Suchtverhalten und Depressionen bis hin zu Suizidversuchen.
Dies betrifft vor allem junge Menschen: Rund 250000 Jugendliche sitzen derzeit auf einem Schuldenberg. Tendenz steigend. »Jungen Menschen bleibt die Wahl: Sparen und out sein oder kaufen, dabei sein« und sich dabei verschulden, berichtet Kurz-Buch. Aber mit einer Schuldenlast am Hals gibt es keinen Job, und ohne Job kein Geld und keine Schuldentilgung. »Der 18-Jährige in der Schuldnerberatung - früher war das die Ausnahme, heute ist es längst zur Regel geworden«, so Kurz-Buch.
Rund sechs Millionen Menschen leben in finanziell zerrütteten Haushalten. Auch in den vermeintlich reichen Bundesländern wächst die Zahl der Schuldner. Zum Beispiel in Freiburg in Baden-Württemberg. 452 Beratungen hat die städtische Schuldnerberatungsstelle im vergangenen Jahr durchgeführt, gab Klaus-Jürgen Vetter vom Sozial- und Jugendamt der Stadt bekannt. Doch die Zahl der tatsächlich verschuldeten Haushalte sei um ein Vielfaches höher, werde aber statistisch gar nicht erfasst. »Wir können nur über die sprechen, die sich zu uns in die Beratung trauen«, sagt Vetter.
Unter diesen habe im Vergleich zum Vorjahr die Schuldenhöhe erheblich zugenommen: Über 40Prozent aller Schuldner hatten Verbindlichkeiten von mehr als 25000 Euro. Als Hauptgründe für rote Zahlen wurden »Frühere Selbstständigkeit« (25,7Prozent), Konsum (19 Prozent), Arbeitslosigkeit (14 Prozent), Scheidung/Trennung (11 Prozent) Krankheit (6,9 Prozent) und Suchtprobleme (5,5 Prozent) angegeben.
In den in Freiburg betreuten Haushalten leben 325 Kinder und Jugendliche. »Diese sind höchst gefährdet, sich ebenfalls sehr schnell hoch zu verschulden, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht haben, denn sie reproduzieren erlernte Verhaltensmuster«, warnt Vetter. Deshalb wollen die Beratungsstellen in der Aktionswoche gerade junge Menschen erreichen. »Kinder zählen heute zu den wichtigsten Konsumentengruppen und sind deshalb eine Zielgruppe für aggressive Marketingstrategien unterschiedlichster Art«, berichtet Claudia Kurz-Buch.
Dem hehren Ziel stehen jedoch handfeste Widerstände entgegen. Das beginnt mit der schlechten personellen Ausstattung der Beratungsstellen. »Wir haben bundesweit 10000 Schuldnerberater zu wenig«, so Kurz-Buch. Wartezeiten auf einen Gesprächstermin von bis zu neun Monaten seien nicht selten. Doch auch Einzelhandel und Banken haben kein sonderlich großes Interesse an einer offensiven Präventionsarbeit, bei der zum Konsumverzicht aufgerufen und vor leichtfertigen Kreditaufnahmen oder dem großzügigen Gebrauch der EC-Karte gewarnt wird. Aggressive Geschäftspraktiken des Handels und sein Interesse an einer ungebremsten Steigerung des Warenabsatzes spielen in der Aktionswoche aber ebenso wenig eine Rolle wie andere Instrumente der Armutsbekämpfung, wie z.B. die Forderung nach einer Vermögenssteuer. »Im Mittelpunkt steht der Schuldner und die Möglichkeiten, ihm wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen«, so Kurz-Buch.
http://www.bag-schuldnerberatung.de/
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