Leichen säumen seinen Weg

»Unknown Identity« von Jaume Collet-Serra

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Hotel Adlon werden sie wohl nochmal wiederaufbauen müssen, und auch das Geländer der Oberbaumbrücke ziert ein spektakuläres Loch. Rein filmisch natürlich, digital produziert und garantiert reversibel. Und außerdem eine ziemliche Reklame für das Haus am Pariser Platz, das in »Unknown Identity« zum Angelpunkt wird für eine wilde Verschwörung um US-amerikanische Biochemiker, saudische Prinzen und die irgendwie modifizierte Wunderpflanze, die endlich den Hunger auf der Welt besiegen soll.

»Unknown Identity« nach einem Roman des französischen Bestseller-Autors Didier van Cauwelaert ist ein Action-Thriller, verlegt nach Berlin. Inszeniert von einem Katalanen mit Hollywood-Vorbildern, multinational besetzt mit einem (ehemaligen) Iren, mit Deutschen, Schweizern, Österreichern und diversen US-Amerikanern. Ein marktgängiges Produkt für eine internationale Klientel. Nicht ganz James Bond, nicht ganz Jason Bourne, ein bisschen Luc Besson, ein bisschen Polanski. Und ziemlich viel Joel Silver – was kein Wunder ist, schließlich drehte Jaume Collet-Serra mit »Unknown Identity« nach »House of Wax« und »Orphan – Das Waisenkind« schon seinen dritten Film für den Veteranen unter Hollywoods Action-Produzenten. (Bevor er in Silvers Auftrag drehte, tat er das meist im Auftrag großer Konzerne: als Anfänger verdiente Collet-Serra seine Miete mit Werbefilmen, ganz wie sein Vorbild David Fincher.)

Der Vergleich, den Collet-Serra selbst gern hörte, wäre aber wohl der mit Alfred Hitchcock. Dazu aber fehlt ihm eigentlich alles außer der sprichwörtlichen Hitchcock-Blondine. Mit Polanskis »Frantic« hat »Unknown Identity« den verzweifelten Versuch eines Mannes in einer fremden Metropole gemein, seine ihm nach der Fahrt vom Flughafen zum Hotel plötzlich abhanden gekommene Ehefrau wiederzugewinnen. Von der Luc Besson-Produktion »96 Hours« übernahm er mit Liam Neeson den Hauptdarsteller und zumindest einen Teil der Brutalität. Durchkämmte Neeson dort Paris nach seiner entführten Tochter, durchsucht er hier Berlin nach seiner verloren gegangenen Identität. Das Hotel, in dem ihm seine Frau abhanden kommt, ist das Adlon, dessen Präsidentensuite am Ende dran glauben muss. Der Ort, an dem ihm seine Identität abhanden kommt, ist die Oberbaumbrücke. Und die Orte, an denen er nach beiden sucht, liegen irgendwo zwischen Friedrichstraße und Karl-Marx-Allee.

Ein Autounfall, ein Trauma mit partiellem Gedächtnisverlust, ein verschärft ostalgischer Stasi-Veteran, der sich in diesen ideologiefreien modernen Zeiten als Detektiv betätigt – und so geschrieben wurde, dass er zu einem stillen Helden wird in einem immer wüster aus dem Ruder der Glaubwürdigkeit laufenden Drehbuch –, eine bosnische Illegale, deren halbe Familie im Krieg umkam (und die also sicher nicht illegal in Deutschland leben müsste?) – die Zutaten dieses Thrillers sind bunt, wirr, unglaubwürdig. An der Seite von Liam Neeson als US-amerikanischem Wissenschaftler mit Gedächtnisverlust agieren January Jones (die gelangweilte Ehefrau aus der vielfach prämierten Fernsehserie »Mad Men«) als dessen kühle blonde Gattin, Diane Kruger als seine ebenfalls blonde, aber alles andere als kühle bosnische Lebensretterin, Aidan Quinn als der »andere« Mann der Gattin und Sebastian Koch in einer minimalen Rolle als wirrmähniger Wissenschaftler mit humanitären Idealen.

Gedreht wurde in Berlin, Babelsberg, Leipzig und Brandenburg, mitten im Eiswinter 2010. Neben Präsidentensuite und Oberbraumbrücke müssen mindestens eine Berliner Straßenbahn, ein paar Berliner Ärzte und Krankenschwestern, ein (ebenfalls illegaler?) Berliner Taxifahrer und eine ganze Reihe zwielichtiger Gestalten dran glauben, bevor das Rätsel um die Identität des Helden zu einer halbwegs zufriedenstellenden Lösung gebracht ist. Im U-Bahnhof Friedrichstraße hat es mittendrin eine nicht näher erklärte Explosion gegeben, die mit der eigentlichen Haupthandlung rein gar nichts zu tun hat. Und Bruno Ganz als ehemaliger Stasi-Offizier »Herr Jürgen« hat nicht nur gezeigt, dass alte Seilschaften immer noch ganz gut funktionieren (noch effizienter sind hier nur die der illegalen Einwandererklasse), sondern auch viel persönlichen Mut und mehr Durchblick bewiesen als irgend eine der anderen Figuren. Sein kurzer gemeinsamer Auftritt mit US-Film- und Theaterlegende Frank Langella ist denn auch die einzige memorable Szene des Films. Allerdings deshalb nicht weniger absurd in der Anlage.

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