Integration ist keine Bringeschuld
Der Aufschrei in Regierungskreisen und zahlreichen Medien hierzulande nach der Rede des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan war groß. Der Chef der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP hatte die in Deutschland lebenden Türken dazu aufgefordert, zunächst Türkisch zu lernen und dann Deutsch. Vertreter von Union, FDP und der Springer-Presse widersprachen heftig und machten erneut deutlich, dass sie jede Gelegenheit nutzen, um gegen mutmaßliche Integrationsverweigerer Stimmung zu machen.
Am eigentlichen Problem gehen die Reaktionen indes vorbei. Denn Integration ist keineswegs eine alleinige Bringeschuld der Migranten, sondern auch Staat und Gesellschaft in Deutschland müssen sich darum bemühen, dass hier lebende Einwanderer gleichberechtigte Staatsbürger werden können. Bildung gilt als ein Schlüssel zur Integration. Doch auch gut ausgebildete Migranten haben es in Deutschland oft schwer. Laut einer Studie der Universität Konstanz haben deutsche Wirtschaftsstudenten mit einem türkischen Namen geringere Chancen einen Praktikumsplatz zu finden als Bewerber mit deutschem Namen. Die Jugendlichen türkischer Herkunft erhielten insgesamt 14 Prozent, bei kleineren Unternehmen sogar 24 Prozent weniger positive Antworten hinsichtlich der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
Trotz gegenteiliger Behauptungen aus der Politik reicht es offensichtlich oftmals nicht aus, Deutsch zu sprechen, sich einbürgern zu lassen und an einer Hochschule zu studieren, um sich auch auf dem Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mit Sicherheit waren unter den Tausenden, die dem türkischen Premier in Düsseldorf zujubelten, viele Menschen, die trotz aller Integrationsbemühungen an den Barrieren der alltäglichen Diskriminierung gescheitert sind. Der Demagoge Erdogan dürfte ihre Sympathien gewonnen haben, als er in seiner Rede Islamophobie und Rassismus in Deutschland anprangerte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.