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Polen streitet um Privatversicherung

Transnationales Kapital verteidigt Profite

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Neben vielem Streit um Scheinpolitik gibt es in Polen seit Monaten ein echtes Problem wirtschaftspolitischer und sozialer Natur. Es betrifft die privaten Rentenversicherungen, die es laut gesetzlichen Bestimmungen von 1999 in Polen seit 2004 gibt.

Beschlossen wurden die Gesetze 1999 von der Solidarnosc-Regierung unter Jerzy Buzek, in der Leszek Balcerowicz Vizepremier und Finanzminister war. Eingeführt wurde die private Rentenversicherung dagegen von einer »linken« Regierung unter Leszek Miller. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil er zeugt, dass alle Regierungen nach 1989/90 der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und anderen westlichen Finanzinstitutionen gleichermaßen hörig waren.

Bis zur Einführung der »Offenen Rentenfonds« (OFE) war allein die seit 1934 bestehende staatliche Allgemeine Altersversorgungsanstalt (ZUS) für die Renten verantwortlich. Derzeit erhalten 7,5 Millionen Polinnen und Polen eine ZUS-Rente.

Leokadia Oredziak von der Warschauer Handelshochschule erinnerte in der Zeitschrift »Przeglad« kürzlich daran, dass auch Polen die Privatisierung der Rentenversicherung aufgezwungen wurde. Das hatte Mitchell A. Orenstein von der John Hopkins University bereits 2008 geschrieben. Ein Emissär der Weltbank erhielt seinerzeit von der polnischen Regierung die Vollmacht für die Vorbereitung des Reformwerks. Zur Ausarbeitung der »Prinzipien« schuf er sich aus Kabinettsmitgliedern und ausgewählten neoliberalen Ökonomen ein Gremium. Angehörige älterer Jahrgänge hatten danach bei der ZUS zu bleiben, die nach 1968 Geborenen wurden verpflichtet, auf den sogenannten »zweiten Sockel« umzusteigen: Sie wurden zwangsweise – ohne Wenn und Aber – einem der 14 privaten Rentenfonds zugeschrieben. Gemeinsam mit anderen »Subjekten« bilden diese Fonds eine Kapitalgruppe, in der internationale Banken den Großteil der Anteile halten.

Einfacher kann Geldzufluss nicht funktionieren: Von den Einkommen aller Beschäftigten, die zu 95 Prozent der ersten (untersten) Steuerklasse angehören, kassiert der Fiskus jetzt 18 Prozent für die Altersversorgung, wovon seit 2004 automatisch 7,3 Prozent in die »Offenen Rentenfonds« fließen. Die berechnen – je nach Fonds – zwischen 5 und 10 Prozent der ihnen zugeflossenen Beitragssumme als Verwaltungsgebühr. Dazu kommen Provisionen und Prämien für Präsidenten und Aufsichtsräte. Allein 2009 waren dies über 700 Millionen Zloty. Von den seit 2004 notierten Beitragseinnahmen in Höhe von 160 Milliarden Zloty (176 Millionen Euro) verschlangen die OFE 22 Milliarden.

Ab Mai wird das anders. Die Privatfonds erhalten nicht mehr 7,3, sondern nur noch 2,3 Prozent der Beitragssumme. Denn die Regierung braucht zur Rettung des Haushalts und der öffentlichen Finanzen dringend flüssige Milliarden. Die den Privaten »auf Zeit« gestrichenen 5 Prozentpunkte sollen der (staatlichen) ZUS für das Rentensystem »gutgeschrieben« werden. Ein von Balcerowicz angeführtes Heer von Wirtschaftswissenschaftlern, Arbeitgeberverbänden, sämtlichen Geldinstituten und privaten Medien, die nach Meinung des Polnischen Ökonomenvereins (PTE) allesamt ihre engen Interessen für das Gemeinwohl ausgeben, schimpft diese »Reform der Reform« einen Diebstahl. Tatsächlich fügt es sich paradoxerweise so, dass der liberale Premier Donald Tusk, weil er auf Forderung der EU das Haushaltsdefizit 2012 auf 3 Prozent reduzieren muss, die Privaten »bestiehlt«. Acht Monate vor den Parlamentswahlen, bei denen ihm Jaroslaw Kaczynski mit seiner PiS-Partei im Nacken sitzt, und angesichts der polnischen EU-Präsidentschaft ab 1. Juli glaubt er eben damit seinen eigenen Interessen zu dienen.

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