Der Landes-Sachbearbeiter
Reiner Haseloff will Wolfgang Böhmer beerben
Wie sich die Plakate doch unterscheiden. »Der Garant« stand auf dem viele Etagen hohen Banner, mit dem die CDU vor der Wahl 2006 für ihren Spitzenmann warb. Vom Plakat schaute mit der typischen Mischung aus Ernst und Schalk, die Hand lässig in der Hosentasche, Wolfgang Böhmer, damals bereits vier Jahre Ministerpräsident. Was Böhmer garantierte, musste sich der Betrachter selbst denken; eines aber behauptete das Plakat mit selbstbewusster Absolutheit: Ein Garant sei Böhmer für alle.
Für Reiner Haseloff wirbt die Union mit einem Großplakat, auf dem »Unser Bester« steht. Das lässt an Kaffee denken – im Land der angeblichen Frühaufsteher ein durchaus passender Slogan. Zugleich enthält er eine hübsche Relativierung: Der bisherige Wirtschaftsminister sei IHR Bester, erklärt die Union – andere aber, so impliziert diese Formulierung, könnten besser sein.
Immerhin: In der CDU stehen sie inzwischen geschlossen hinter dem Mann, dem mancher nicht zutraute, das Erbe Böhmers anzutreten. Selbst die Bundesvorsitzende hatte zunächst Zweifel, wie sie einräumt: »Am Anfang denkt man ja: Naja, will der wirklich Ministerpräsident werden?«, gestand Angela Merkel. Böhmer selbst, der Haseloff zielgerichtet aufgebaut, 2002 als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium geholt und 2006 zum Minister gemacht hatte, bestärkte die Zweifler, indem er, ganz Chefarzt, dem Aspiranten gelegentlich Dämpfer versetzte: Es gebe auch andere geeignete Kandidaten, erklärte er, als Nachfolger mit den Füßen zu scharren begannen. Erst kurz vor der Wahl klopfte er Haseloff anerkennend auf die Schulter: Von allen Anwärtern auf das Ministerpräsidentenamt sei er »der Geeignetste«.
Dass dies zeitweilig auch in den eigenen Reihen nicht jeder so sah, liegt weniger an Haseloffs fachlichem Vorwissen. Der Physiker, der früher in einem Umweltforschungsinstitut arbeitete, leitete ab 1992 das Arbeitsamt in Wittenberg – ein Job, in dem er die Schattenseiten des gesellschaftlichen Umbruchs erlebte. Sonnenschein-Termine, die er heute als Wirtschaftsminister beim Einstechen von Spaten und Durchschneiden von Bändchen erlebt, gab es da nicht. Dass Haseloff später nach Lösungen für Langzeitarbeitslose suchte, die »arbeiten wollen und können, aber nicht zum Zuge kommen«, dürfte den Erlebnissen als Arbeitsamtsdirektor geschuldet sein.
Das Amt scheint ihn indes auch in anderer Hinsicht geprägt zu haben: Haseloff erinnert bei öffentlichen Auftritten stets an einen Verwaltungsmann, versetzt höchstens mit einem Quäntchen Wissenschaftler. Der Mann, dessen Doktorarbeit den Titel »Entwicklung von Messgeräten auf der Basis der linearen Laser-Absorptionsspektrometrie zur empfindlichen Molekülgas-Konzentrationsmessung unter dem Aspekt des Einsatzes in der Umweltkontrolle« trägt, erweckt bei Reden oft den Eindruck, als zitiere er Verwaltungsvorschriften. Nur wenigen Politikern fiele es wie ihm ein, die Rede zum Wahlkampfauftakt mit dem Thema »EU-Subsidiaritätsprinzip« zu eröffnen.
Es sind solche Situationen, in denen der Kontrast zu Böhmer besonders auffällig ist. Dieser habe »den Ton für die Menschen in Sachsen-Anhalt getroffen«, lobt Merkel und deutet damit an, warum Böhmer in der Rolle des Landesvaters oder -großvaters vielen gefiel: Der 75-jährige wirkt oft knorrig, tritt aber unprätentiös auf, entscheidet resolut, spricht knapp, löckt gern wider den Stachel – und verfügt über einen schelmischen Humor. Als das Land von Filmschauspielerin Helen Mirren nach Dreharbeiten im Land als »Sexy Anhalt« gelobt wurde, merkte Böhmer trocken an, »Mein Beitrag dazu war vermutlich eher gering.«
Derlei Sätze aus Haseloffs Mund sind schwer vorstellbar; dieser gilt als intellektuell und ein wenig spröde – was er nicht grundlegend zu ändern gedenkt: »Ich werde keinen Gesangs- oder Ballettunterricht nehmen«, beharrt er: »Wahlkampf ist keine Casting-Show.« Der 57-Jährige, der zwar wie Böhmer in Lutherstadt Wittenberg wohnt, aber nicht Protestant, sondern Katholik ist, verkörpert einen anderen Typus Politiker: nicht Landesvater, sondern eine Art »Landes-Sachbearbeiter«. Dass er die Rolle ausgerechnet im finanzschwachen Sachsen-Anhalt mit seiner hohen Arbeitslosigkeit übernehmen könnte, ist kein Zufall: Haseloff ist kein Marktradikaler, sondern bekennt sich zum Sozialstaat – auch wenn er diesen als »aktivierend« charakterisiert, um sich vom Begriffsverständnis bei SPD und LINKEN abzugrenzen. Zudem wurde er ein Befürworter von Mindestlöhnen – wenn auch nur von branchenspezifischen Lösungen. Und mit dem Konzept der Bürgerarbeit profilierte er sich auf Bundesebene. Zwar kritisieren LINKE und Gewerkschaften Details; Betroffene aber loben den Ansatz.
Für die CDU war Haseloff, wiewohl ein Gegenentwurf zu Böhmer, deshalb wohl tatsächlich »unser Bester«. Ob freilich bei der Böhmer-Nachfolge nicht doch noch einer der anderen beiden Besten zum Zuge kommt – das ist bis zum Wahlabend offen.
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