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Steter Tropfen im roten Revier

Hettstedt im Mansfeld wählt links – das liegt auch an der revolutionären Tradition

  • Lesedauer: 6 Min.
Manfred Stern, Leiter des Chors der Walzwerker in Hettstedt
Manfred Stern, Leiter des Chors der Walzwerker in Hettstedt

Es gibt Auftritte, zu denen Manfred Stern seine Sängerkollegen nicht wirklich überreden muss. In diesen Tagen wird im Mansfeld an den 90. Jahrestag der Märzkämpfe erinnert. 1921 kam es in dem Bergbaurevier wie in den benachbarten Chemieregionen zu Streiks und massiven Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Arbeitern und der Polizei. Es gab viele Tote, auch in Hettstedt. Der drei dort Gefallenen wird am Sonntag gedacht. »Das wir da singen«, sagt Stern, der Leiter des Chors der Walzwerker, »daran gab es gar keinen Zweifel.«

Die Märzkämpfe gehören zur regionalen Geschichte, und ihr Erbe lebt weiter: Zu der Ehrung wird nicht nur der Chor singen; erwartet werden ebenso Mitglieder der Feuerwehr – nicht allein deshalb, weil mit Otto Hillmer einer der Gefallenen ebenfalls Feuerwehrmann war. Zwar ist der ein Jahr nach dem Kapp-Putsch am 19. März 1921 losgebrochene und am 1. April endgültig niedergeschlagene Aufstand, bei dem es unter Führung von Max Hoelz neben Streiks, zu bewaffneten Übergriffen, Brandstiftung und Attentaten kam, auch unter linken Historikern nicht unumstritten. Die Region jedoch hat er geprägt, sagt Wolfgang Großpietsch, der viele Jahre lang das Mansfelder Kupferkombinat leitete: »Es gibt hier eine revolutionäre Vorbelastung.« Die Mansfelder, fügt er hinzu, »haben sich immer mit der Obrigkeit angelegt«.

Ist es dieses revolutionäre Erbe, das sich heute noch zumindest bei Wahlen im Mansfeld manifestiert? Vor 90 Jahren gingen die Arbeiter schließlich nicht nur auf die Barrikaden; sie wählten auch links: Im Februar 1921 kam die KPD hier bei Wahlen zum preußischen Landtag auf 30 Prozent. Heute werden zwar keine Straßensperren mehr errichtet, und Streiks sind in der Region selten geworden. Bei Wahlen aber ist die Landkarte regelmäßig dunkelrot: Bei der Landtagswahl 2006 wählte jeder vierte Hettstedter die LINKE, zur Kommunalwahl 2009 war es bereits jeder Dritte, und zur Bundestagswahl in jenem Jahr kamen die Genossen in der ehemaligen Bergarbeiter-Stadt sogar auf 44,1 Prozent – zwölf Prozent über dem ohnehin schon beachtlichen sachsen-anhaltischen Landesergebnis.

Die revolutionäre Tradition – zurückhaltender formuliert: ein über Jahrzehnte gewachsener Arbeiterstolz – mögen ihren Teil zu solchen Zahlen beigetragen haben, sagt Großpietsch: »Das liegt den Leuten hier im Blut.« Allerdings: In anderen Revieren verhelfen Bergleute und Metallarbeiter heute eher der SPD zu stolzen Ergebnissen – was man in Hettstedt nicht wirklich behaupten kann. Im Stadtrat stellen die Sozialdemokraten gerade einmal vier von insgesamt 30 Abgeordneten – und koalieren, um überhaupt etwas Gewicht in die Waagschale werfen zu können, mit der CDU. Nur dieses Bündnis sorgt dafür, dass die LINKE mit ihren neun Abgeordneten, ergänzt durch einen Stadtrat der Grünen, nicht die stärkste Kraft im Stadtparlament ist.

Ein Grund für den Zuspruch, den die Genossen genießen, ist Arbeiterstolz, der enttäuscht wurde. Hettstedt war bis 1989 eine Industriestadt: Zunächst wurde hier Kupfer gefördert, wovon Halden zeugen, die sich noch immer gleich hinter dem Stadtrand auftürmen. Zudem wurde das Erz in großen Industriebetrieben verarbeitet: Das Mansfeld-Kombinat beschäftigte allein in Hettstedt Tausende. Davon ist wenig geblieben. Zwar hält das Unternehmen MKM, das mehrere Eigentümerwechsel überlebt hat, die Tradition der Kupferverarbeitung wach und beschäftigt gut 1000 Mitarbeiter. Der langsame Niedergang der benachbarten Firma Aluhett, der auch viel Fördergeld von mehreren Landesregierungen nicht zum Überleben verhalfen, wurde jedoch zum Symbol: »Ein beachtliches industrielles Leben ist gestorben«, sagt Großpietsch, »und es ist nichts Neues entstanden.«

Enttäuschung darüber, wie sich die Region entwickelt, sei ein Aspekt, ergänzt Hartmut von Eckstädt; Unzufriedenheit über die gesellschaftliche Entwicklung ein anderer. Die »Euphorie der Zeit nach 1989 ist verflogen«, sagt Eckstädt, der eine der beiden Buchhandlungen in Hettstedt betreibt und unter seinen Kunden viel Frust beobachtet. In der DDR hätten Theorie und Praxis nicht übereingestimmt, sagt der Händler: »Aber diese Gesellschaft hat auch nicht Gerechtigkeit für alle gebracht, sondern nur Wohlstand für wenige.« In Hettstedt ist wenig davon angekommen. Zwar gibt es ein halbes Dutzend Discounter. Die Buchhandlungen und andere Einzelhändler am durchaus adretten Markt der Kleinstadt aber kommen gerade so über die Runden.

Buchhändler von Eckstädt hat der Ärger über die soziale Ungerechtigkeit zur LINKEN gebracht: Zwar ist er kein Genosse; er sitzt aber seit 2009 für die Partei im Stadtrat. Das wird registriert in der Stadt mit ihren 13 000 Einwohnern. In seinem Laden werde keine politische Literatur verkauft, sagt er, über große Politik gesprochen werde nicht oft. Die Haltung des Buchhändlers aber wird vermutlich zur Kenntnis genommen. Und womöglich denken nicht wenige ähnlich wie von Eckstädt, der beklagt, dass viele Angebote in Vereinen, Kultureinrichtungen oder im öffentlichen Leben Geld kosteten, die früher unentgeltlich waren. Hartmut von Eckstädt ist weit von Lob für die DDR entfernt. Aber, gibt er zu bedenken: »Der Mensch vergleicht.«

Menschen wie von Eckstädt, die für kritische Positionen und linke Meinungen stehen und die in der Stadt bekannt sind wie die sprichwörtlichen bunten Hunde, gibt es einige in Hettstedt. Wolfgang Großpietsch gehört zu ihnen, der aus seinen politischen Sympathien kein Hehl macht, auch wenn er kein Mandat für die LINKE innehat. Der Ex-Generaldirektor hat mehr als genug Arbeit, unter anderem als Vorstandsmitglied im Förderverein des sehr sehenswerten und angesehenen Mansfeld-Museums, in dem die Geschichte des Bergbaus in der Region dargestellt wird. LINKE-Mitglieder arbeiten zudem im Förderverein »Flamme der Freundschaft«, der ein Denkmal pflegt, das an die erste Lieferung von sowjetischem Erdgas an das Kupferkombinat im Jahr 1974 erinnert. Ein Flammenfest, das jährlich am 3. Oktober gefeiert wird, hat inzwischen einen festen Platz im Kulturkalender von Hettstedt. Diesen prägt auch der Chor der Walzwerker, dessen Chef Manfred Stern, wiewohl parteilos, ebenfalls für die LINKE im Stadtrat sitzt. Der Chor gelte generell als links, sagt Stern nicht ohne Stolz. Einige allzu parteipolitisch gefärbte Lieder aus der Zeit vor 1989 seien zwar aus dem Chor-Repertoire verschwunden, sagt er. Stücke aus dem »Mansfeld-Oratorium« aber werden weiter gesungen.

Während das Oratorium wie die Flamme der Freundschaft eher Sinnbilder einer zurückliegenden Zeit sind, bemühen sich die Genossen in Hettstedt erfolgreich um Nachwuchs. Inbegriff ist der »Fuxbau« geworden, der vom vor 20 Jahre gegründeten Verein »Rotfüchse« betrieben wird. In seinen Räumen finden Konzerte und Lesungen statt, zudem gehört er zu den wenigen Anlaufpunkten für Jugendliche am Wochenende. Um Politik geht es dabei vordergründig nicht, sagt Stefan Gebhardt, Mitbegründer und Landtagsabgeordneter: »Aber die Leute wissen natürlich, wofür wir stehen.« Manche beginnen schließlich, sich jenseits der Kultur für Politik zu interessieren. Etliche junge Genossen haben ihre Laufbahn im Hettstedter Fuxbau begonnen.

Es sind solche Tropfen, die nach Überzeugung Wolfgang Großpietschs den Stein höhlen – im Chor und im Schwimmverein, im Jugendclub oder dem Fanfarenzug. »Da wird nicht überall Rotfront gesagt«, scherzt der frühere Kombinatsdirektor: »Aber es entsteht nach und nach ein Konglomerat, das für Zuspruch sorgt.«

Wie groß der Zuspruch am 20. März sein wird, muss sich zeigen. Die Genossen setzen im Wahlkampf vor allem auf gerecht bezahlte Arbeit und Korrekturen im Schulsystem – Themen, die die Hettstedter bewegen, sagen die Stadträte. Und sie erheben den Anspruch, nicht nur mitregieren, sondern erstmals die Landesregierung führen zu wollen. Besteht nicht die Gefahr, die Erwartungen zu enttäuschen, weil gesteckte Ziele am Ende doch nicht umgesetzt werden können? »Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, die LINKE wird als Oppositionspartei gewählt«, sagt Wolfgang Großpietsch, der aber Manfred Sterns Feststellung vom Tisch wischt, wonach Opposition besser sei: »Sie ist bequemer«, sagt der Ex-Betriebschef. Bequemlichkeit indes ist kein Politikziel, fügt er hinzu. Hartmut von Eckstädt glaubt, die verbreitete Enttäuschung von der Politik sei für die Genossen eine Chance. »Viele sagen: Ich will jetzt mal was anderes«, meint der Buchhändler: »Probieren wir es doch mal mit denen.«

Nach dem Aufstand 1921 im Mansfeld führen Polizeitruppen gefangengenommene Kommunisten ab.
Nach dem Aufstand 1921 im Mansfeld führen Polizeitruppen gefangengenommene Kommunisten ab.
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