Tyrannen von seltener Menschlichkeit

VLADIMIR PIŠTALO, SRETEN UGRICIC: Höhnische Hohelieder auf Diktatoren

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Immer heller leuchtet sein Bild in Ex-Jugoslawien, immer unscheinbarer werden die Flecken auf dem Porträt. In den Augen seiner Bewunderer war Josip Broz, genannt Tito, das wahre Gesicht des Sozialismus. Dieser Ritter in weißer Rüstung. Der Befreier und gütig-strenge Verwalter eines Vielvölkerreichs, Führer einer Weltbewegung, umworben von den Großen der Welt. Woran seine Bewunderer nicht gern erinnert werden: an die Höhlen im Karst mit den Massengräbern erschossener Kriegsgefangener, an die KZ-Insel Goli Otok und an jene Dissidenten im Ausland, die der Marschall per Auftragskiller töten ließ. Nach Titos Tod zerfiel das Reich, auf Titos Platz in Belgrad saß irgendwann ein anderer Diktator. Auch dessen Bild leuchtet in Serbien mancherorts, im Ausland aber sieht man nur den Tyrannen: Miloševic.

Alleinherrscher sind ein dankbares Sujet der Literatur; Literaten aus Lateinamerika erfanden sogar das Genre »Diktatorenroman«. In Serbien hat sich die Gattung bislang nicht etabliert. Man ahnt warum: Manche Dichter stützten ihre Diktatoren, propagierten ihre Ansichten, ihre Ziele. Vielleicht deshalb wird das Thema Autokratie bis heute so beredt beschwiegen. (Die Exilanten, ja, die reden darüber, im Land aber spürt man Katzenjammer, Scham und Trotz.)

Lyriker durchbrechen die Stille. Sie zeigen auf die Gefolgsleute der Autokraten. »Mörder aus deiner Straße spazieren in Trainingshosen am Fluss«, lesen wir bei Dragoslav Dedovic in einer »Serbien«-Ausgabe der Zeitschrift »Neue Rundschau«. Und bei Zvonko Karanovic heißt es: »die gepanzerten Wagen glitzern in der Sonne / hinter den getönten Scheiben Gesichter auf Steckbriefen / keine Reue in ihren Augen«.

Und dann sind da zwei Romane, von Vladimir Pištalo (geboren 1960 in Sarajevo) und Sreten Ugricic (Jahrgang 1961), erschienen in der verdienstvollen »editionBalkan« des Dittrich-Verlags. Pištalo versetzt uns in den Belgrader Frühling des Jahres 1980. Tito – im Buch: der Kaiser – ist eben gestorben, das Reich versinkt in Wehklagen, doch eine Gruppe junger Leute widersetzt sich der Hysterie. Die Jungen hocken vor Fernseher und Zeitungen, verfolgen die Beisetzung, sprich: das »orgiastische Geheul« der Reporter (»ein Verlust für alle fortschrittlich denkenden Menschen«) und das Defilee jener Mächtigen, mit denen Tito eben noch gedopte Bären jagte – Breschnew und Brandt, Thatcher, Mondale, Mitterrand. Den Fernsehton haben sie abgestellt, sie hören die Dire Straits, »Sultans of Swing«, sie trinken viel und kommentieren, was sie sehen, spöttisch, höhnisch, voller Frust und neuer Lust. Vom »pharaonischen Größenwahn« des Präsidenten spricht einer. »Wenn ich bloß wüsste, wie Tito wirklich war«, sagt ein anderer. Die tränengetränkten Zeitungen, heißt es, kannten die Antwort. »Tito war von seltener Menschlichkeit. Alle seine Schlachten schlug er nur für die Menschen. Er hinterlässt einen unschätzbaren wissenschaftlichen Beitrag. Er kümmerte sich selbst um Schachspiel und Schachspieler!« Diktatur im Originalton.

Im Roman des Sreten Ugricic hat der Despot keinen Namen, und die paradoxen Züge einer Despotie sind grotesk übersteigert. Der Herrscher wird hochweiser, allmächtiger oder wunderbarer Diktator genannt, sein wichtigster Gefolgsmann, der Chef des Geheimdienstes, ist ein Narr mit Glöckchenkappe. Tatsächlich, Anomalien sind in diesem Land der Zukunft das Normale: In der Verfassung – erfahren wir – sei in drei Sätzen alles gesagt, im Südosten herrsche ewiger Sommer, im ganzen Land endlose Begeisterung, und vordringliche Aufgabe jedes Bürgers sei es, dieses Land »aus Trotz« zu denken. »Von Schaufenster zu Schaufenster ist immer die gleiche, in Gold gerahmte Fotografie zu sehen«, das Bild des Diktators, eines Mannes, der (wie Stalin) offenbar immer wacht.

Ein gruseliges Gebilde ist dieses Land, »nicht totalitär, aber dafür total« (wo ist der Unterschied?); im Palast des Herrschers hängen Karten aus den großen Epochen des Landes, sie hängen schief, eine schöne Metapher. Und um Zweifel auszuräumen, nennt der Verfasser auch den Namen des Landes, dutzendfach. Serbien. In einer Einführung zu seiner furchteinflößenden Landeskunde schreibt Ugricic: »Der Diktator diktiert. Das verblendete Volk Serbiens liegt im reversiblen Koma. Babys weigern sich, geboren zu werden.« Wer die Wörter frei oder Freiheit ausspricht, muss sterben. Wer einen schrillen Wunsch des Herrn nicht erfüllt, ebenfalls. Der Narr vom Geheimdienst erfüllt jeden Wunsch des Gebieters, er kolportiert auch Gerüchte, was plappert das Volk? »Wie man sich am leichtesten umbringen kann. Wohin und wie man flüchten kann.« Wovor flüchten?, fragt erstaunt der Diktator, und der Narr erwidert: Aus Serbien.

»Serbien ist schaurig, wie gut, daß es nicht existiert«, notiert Reisereporter Sreten Ugricic. Wie gut. Doch wir sind keineswegs beruhigt. Denn unser Reporter beschreibt die Autokratie in seinem nicht existenten Land als ein ewig währendes Konstrukt. Das kann auch bedeuten: In der Wirklichkeit herrscht Diktatur selbst dann, wenn wir sie kaum bemerken.

Vladimir Pištalo: Millennium in Belgrad. A. d. Serb. v. Brigitte Döbert. 260 S., br., 16,80 €.
Sreten Ugricic: An den unbekannten Helden. A. d. Serb. von Maša Dabic. 416 S., br., 17,80 €. Beide Romane Dittrich Verlag.
Dragoslav Dedovic, Isabel Kupski (Hg.): Serbien. Neue Rundschau, Heft 3/2010. S. Fischer. 270 S., br., 12 €.

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