Ausweg aus dem Desaster?

BOB WOODWARD ÜBER BARACK OBAMA

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange vor Wikileaks war Bob Woodward für viele so etwas wie der Gottvater des investigativen Journalismus. Gemeinsam mit seinem Kollegen Carl Bernstein deckte die Reporter-Legende der »Washington Post« einst den Watergate-Skandal auf und läutete so den Sturz von Richard Nixon ein, dem bisher einzigen USA-Präsidenten, der zurückgetreten ist. Fünf Bücher hat er seit dem 11. September 2001 über die Reaktionen der Supermacht auf die Terrorangriffe vorgelegt, vier davon in der Amtszeit von George W. Bush, dem er lange reichlich unkritisch gegenüberstand.

In seinem jüngsten Enthüllungsbuch »Obamas Kriege« nun nimmt der Pulitzer-Preisträger den Leser mit in den heutigen »War Room« des Weißen Hauses. Es liest sich, als säße man dabei, wenn Kabinettsmitglieder, Präsidentenberater, Militärs, Geheimdienstler und Diplomaten an der Heimatfront um Einfluss und Entscheidungen streiten und intrigieren. Doch beruht das Ganze vor allem auf Sitzungsprotokollen, Memoranden und anderen Dokumenten, auf E-Mails, Briefen und Tagebüchern; dazu kommen dann Hintergrundgespräche mit über 100 Menschen, die mit dem kriegerischen Erbe der Bush-Ära befasst waren und sind. Und ein abschließendes Interview mit dem Präsidenten selbst.

Dabei ist der Buchtitel irreführend: Letztlich geht es fast ausschließlich um den Feldzug am Hindukusch. Irak wird auf den nahezu 500 Seiten lediglich als Blaupause bemüht, wenn es darum geht, eine neue Strategie für Afghanistan zu finden, um ein zweites Vietnam zu verhindern. Man erfährt fast schon minutiös genau, wie Barack Obama einen Ausweg aus dem Desaster sucht, von jenem Geheimdienstbriefing 48 Stunden nach seinem Wahlsieg am 6. November 2008 bis zum Rücktritt des damaligen Afghanistan-Oberkommandierenden, General Stanley McChrystal, 18 Monate später. Woodward zeigt, wie Washingtons Spitzenpolitiker und Generäle ticken, er lässt uns teilhaben an Zwietracht, Misstrauen und Machtkämpfen. »Mafia«, »Politbüro«, »Wasserwanzen«, »egoistischer Bastard« – das Spektrum der Verunglimpfungen ist breit, wenn um Kriegsziele, Zeitpläne und Truppenzahlen gefeilscht wird. Wobei die Generäle nie genug Soldaten bekommen können, ohne dass eine erfolgversprechende Strategie existiert, während Präsident Obama auf den im Wahlkampf versprochenen Abzugsplan drängt und dann doch erst einmal zusätzliche Truppen entsendet, wenn auch nicht so viele, wie das Pentagon will. Dieser Konflikt ist auch mit Obamas Direktive zur Afghanistan-Pakistan-Strategie, die auf sechs Seiten im Buch nachzulesen ist, nicht aus der Welt.

Woodwards Methode verschafft dem Leser fraglos aufschlussreiche Einblicke in die Washingtoner Machtmechanismen mit all ihrer Arroganz und Hybris, ihrer Ratlosigkeit und Inkompetenz, selbst wenn die Marketingmaschinerie natürlich schon beim USA-Start des Buches dafür gesorgt hat, dass viele Fakten verkaufsfördernde Schlagzeilen machten. Man lernt also etwas über die geheimen paramilitärischen CIA-Einheiten, den angeblich manisch-depressiven Zustand des afghanischen Präsidenten Karsai oder die Rolle Pakistans, wo die laut Geheimdiensteinschätzung »Albträume dieses Jahrhunderts« zusammentreffen: Terroristen, Taliban, eine schwache Regierung, Korruption und Atomwaffen.

Phasenweise ist dieses simulierte Eintauchen in die Zeitgeschichte durchaus spannend und unterhaltsam. Aber irgendwann geht es einem wie Barack Obama in den oft detaillistischen und sich wiederholenden Strategiedebatten – man fühlt sich leicht ermüdet und ohne rechten Erkenntniszugewinn. Zumal und vor allem, weil die Analysen und Wertungen stets im geschlossenen System von Woodwards Protagonisten verbleiben.

Besser geworden ist seitdem in Afghanistan nichts – der Konflikt kostete im Vorjahr mehr als 10 000 Menschen das Leben, darunter etwa 2500 Zivilisten und über 700 NATO- Soldaten – so viele wie noch nie seit Kriegsbeginn vor fast zehn Jahren.

Bob Woodward: Obamas Kriege: Zerreißprobe einer Präsidentschaft. Aus dem Amerik. von Henning Dedekind, Helmut Dierlamm u. Dagmar Mallett. Deutsche Verlags-Anstalt. 496 S., geb., 24,99 €.

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