Er hat einen Traum

GLOBALISIERUNGSKRITIK VON GORDON BROWN

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Dder schottische Priestersohn, gerade 60 geworden und einer der belesensten und erfolglosesten britischen Premiers seit 1940, hat als heutiger Hinterbänkler im Parlament von Westminster ein Buch veröffentlicht, das zehn Prozent Memoiren und 90 Prozent Bericht über einen bescheidenen Weltenretter namens Gordon Brown ist. Der Autor, der vor seiner glücklosen Premierszeit (2007 - 2010) zehn Jahre Finanz- und Wirtschaftsminister an der Seite Tony Blairs war, befasst sich mit der kapitalistischen Bankenkrise von 2008, gibt eine Einschätzung der Kräfteverschiebungen in der Welt und breitet seine Vorstellungen für eine Lösung globaler Krisen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit aus.

Brown, ein klassischer Intellektueller und Arbeitstier, operiert stets mit weltweiter Perspektive. Dass daraus oft ein Widerspruch zwischen hohem moralischem Anspruch und dürftiger sozialer Wirklichkeit entsprang, gehört zu seinem Markenzeichen ebenso wie dem von New Labour insgesamt, für deren Aufwind und Niedergang niemand mehr steht als das in Hassliebe verbundene Duo Blair/Brown.

Der dunkelhaarige, quadratische, hoch gebildete, oft zaudernde und neurotische Politiker Brown hatte als Premier eine Sternstunde: Anfang Oktober 2008, wenige Tage nach der Pleite der US-amerikanischen Lehman Brothers und dem offenen Ausbruch einer Bankenkrise, die alle Anzeichen einer Systemkrise offenbarte, reagierte er als erster Politiker des Westens mit einer Art Rettungsplan. Die Regierung seines Landes, wo der Banken- und Finanzanteil an der Wirtschaft (Stichwort: City of London) problematisch groß ist, verordnete taumelnden großen Geldinstitutionen kurzfristig staatliche Finanzspritzen und erwarb für den Staat Mehrheitsanteile an Instituten wie der Royal Bank of Scotland und anderen Banken. In den Worten Browns war es »die größte Rekapitalisierung der britischen Bankenge-schichte«. Die USA und andere westliche Staaten, darunter Deutschland, ergriffen bald ähnliche Schritte.

Das, was vereinfachend als Bankenkrise bezeichnet wurde, ist in Browns Augen eine Industrie-, Handels- und Be-schäftigungskrise. Und mehr noch: eine Krise der Globalisierung. Browns Bemühen ums große Ganze ist nicht zu übersehen. Darin liegt eine Stärke seiner Analyse. Ähnliches trifft auf seinen Blick für strukturelle Entwicklungsprobleme der USA und der EU zu, für die Entwicklungspotenzen und -probleme Chinas, Indiens und anderer regionaler Wirtschaftsräume oder für die spezifischen Armutslasten in Afrika. Auch sein Mantra, dass es für globale Probleme nur Lösungen mit einem globalen Ansatz geben kann, zeugt von der Gabe zur Zusammenschau von Zusammenhängen.

Allerdings hat der Denker Brown am Ende ein ähnliches Problem wie der handelnde Politiker Brown. Seine Appelle zu koordiniertem internationalem Vorgehen, seine Aufrufe zu mehr Gerechtigkeit, sein Traum gar von einer »Weltwirtschaftsregierung« – diese Rufe stehen wie ein guter Liberaler mit beiden Beinen fest in der Luft. Die Kluft zwischen der hohen moralischen Warte und der enttäuschenden Niederung der Wirklichkeit ist nicht zu übersehen.

Brown erweist sich in seinem leider etwas sperrig geschriebenen, zahlengetränkten und eigenlobsatten Buch als Anhänger viele Probleme lösender Gipfeltreffen und alles heilender Wachstumstheorien. Als hätte weder das eine noch das andere an der zunehmenden katastrophalen Ungleichheit in globalem Maßstab etwas geändert! Auf die im Buchtitel angelegte Frage »Was folgt« muss die Antwort daher lauten: Nichts. Auch Browns realistische Einschätzung, dass die Probleme von 2008 in keinster Weise gemeistert sind, konterkariert seinen erklärten Optimismus schmerzlich.

Gordon Brown: Was folgt – Wie wir weltweit neues Wachstum schaffen. Aus dem Engl. von Ulrike Bischoff u. Petra Pyka. Campus. 375 S., geb., 24,90 €

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