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Kritische Solidarität

VENEZUELA

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Vereinigung von Rentnern besetzt das lokale Büro einer ehemaligen Regierungspartei und richtet dort ein Zentrum ein, in dem sie Tanzkurse, Kulturveranstaltungen und Geburtstagsfeiern abhält. Der besetzte Seniorenclub befindet sich in einem Armenstadtteil von Caracas und ist Teil einer Rätestruktur in Venezuela.

In der öffentlichen Diskus-sion hierzulande steht der telegene Präsident Hugo Chavez im Mittelpunkt. Die im letzten Jahrzehnt ausgebauten Elemente einer partizipativen Demokratie hingegen werden selten erwähnt. Dario Azzellini will daher nun diese Formen der Selbstverwaltung in Venezuela dem deutschen Publikum vorstellen.

Der Berliner Publizist hat in den vergangenen Jahren in etlichen Büchern und Filmen die bolivarische Revolution mit kritischer Solidarität begleitet. Von diesem Prinzip ist auch das aktuelle Buch geleitet. Es beginnt mit einem Überblick über die venezolanische Gesellschaft und zeigt auf, wie zerstritten und marginalisiert die Linke vor Chavez' Machtantritt waren. In dieses Vakuum stieß die von Chavez mitbegründete linke Bewegung in den Streitkräften, die mit Stadtteilkomitees und den Resten von Guerillagruppen der späten 70er Jahre, nicht aber mit Parteien und Gewerkschaften kooperierte. Die Forderung nach einer neuen Verfassung mit Selbstverwaltungselementen waren von Beginn an ein zentraler Diskurs dieser neuen Bewegung. Doch erst nach dem knapp gescheiterten Putschversuch im Jahr 2002 und mehreren Unternehmerstreiks in den folgenden Monaten entwickelte diese eine besondere Dynamik.

Azzellini liefert viel Zahlenmaterial über die Stadtteilorganisationen, die Arbeiterselbstverwaltung in den Fabriken und die dem Präsidenten direkt unterstellten Missiones, mit denen Fortschritte im Bereich der Bildung, der Gesundheits- und Lebensmittelversorgung und des Städtebaus vorangetrieben werden sollten. Der Autor hebt die Erfolge hervor, ohne die Fehler und Schwierigkeiten zu verschweigen. Bürokratismus und Korruption gehören dazu, aber auch die Passivität, die sich bei Teilen der Bevölkerung ausbreitet.

Azzellini schreibt: »In den neuen Institutionen ... besteht die Gefahr, Logiken der konstitutionellen Macht zu reproduzieren, wie etwa Hierarchien und Bürokratisierung.« Der Autor benennt aber auch die Gegenkräfte. Es sind oft Menschen, die sich in den letzten Jahren durch die partizipative Demokratie politisiert haben und sie in den Stadtteilen, Fabriken und Missiones selbstbewusst gegen alle Angriffe verteidigen. »Wer hier wirklich den Prozess führt, das ist die Basis«, zitiert Azzellini einen Stadtteilaktivisten.

Für seine Arbeit hat Azzellini zahlreiche Befragungen durchgeführt. Das Buch ist eine mit zwahlreichen Fakten untermauerte, überzeugende Replik auf die in Europa gängige, oft nur auf Halbwissen beruhende Aburteilung der bolivarischen Revolution.

Erfreulich, dass sich der Autor einen kühlen Kopf und kritischen Blick bewahrt hat und auch die Gefahren nicht unerwähnt lässt, die einer emanzipatorischen Entwicklung in Venezuela drohen könnten. Ausgespart bleibt in seinem Buch jedoch die mehr als fragwürdige Bündnispolitik von Chavez, wie seine Unterstützung für Gaddafi und Ahmadinedschas. Da hätte man sich dann doch klarere Worte gewünscht.

Dario Azzellini: Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune. Bewegungen und soziale Transformation am Beispiel Venezuela. VSA-Verlag. 406 S., br., 24,80 €.

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