- Kultur
- Buchmesse Leipzig
Existenziell
APPELL ZUR ABRÜSTUNG
Zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist die akute Gefahr der Nuklearwaffen nur noch marginal im öffentlichen Bewusstsein, verdrängt von anderen, die Menschheit und den Planeten bedrohenden Problemen wie Klimawandel, Artensterben und Überbevölkerung. Nur 23 Prozent der Europäer und 24 Prozent der Deutschen halten die Verbreitung von Atomwaffen für eine der größten Bedrohungen der Zivilisation. Viel zu wenig, wie Matthias van der Minde meint. Der Autor, Jg. 1985, engagiert sich, seit er 2003 an der Verleihungszeremonie des Alternativen Nobelpreises an den ehemaligen neuseeländischen Premierminister (1984 bis 1989) und Anti-Atom-Aktivisten David Lange teilgenommen hatte, für die globale nukleare Abrüstung.
Heute existieren weltweit noch immer rund 23 000 Atomwaffen, zu Ende des Kalten Krieges waren es um die 65 000. Damals wie heute besitzen die USA und Russland über 90 Prozent davon. Weitere Staaten, denen diese Massenvernichtungswaffen zur Verfügung stehen, sind Frankreich, Großbritannien, China, Israel, Pakistan, Indien und Nordkorea. Ein großer Teil der Nuklearwaffen befindet sich in höchster Alarmbereitschaft, ist einsatzbereit. Besonders erschreckend ist darüber hinaus, dass die Atomstaaten weiterhin an einer »Verbesserung« der Trägersysteme und Sprengköpfe arbeiten.
Wie zur Zeit des Kalten Krieges verbleiben, wenn das eigene Warnsystem einen feindlichen Angriff meldet, den jeweils Verantwortlichen nur vier bis acht Minuten, um über einen nuklearen Gegenschlag zu entscheiden. Matthias van der Minde nennt Beispiele von fehlerhaften Meldungen der Warnsysteme in Vergangenheit und Gegenwart. Nur durch besonnene, mutige Entscheidung Einzelner sei in diesen Fällen ein nukleares Armageddon verhindert worden. Das Schicksal der Menschheit hängt an einem seidenen Faden. Wie lange kann dies noch gut gehen? Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Nuklearwaffen. Der zuletzt bekannt gewordene geschah im Februar 2009, als ein britisches und ein französisches nuklear betriebenes U-Boot im Nordatlantik zusammenstießen.
Neben den technischen und politischen Gründen listet der Autor auch moralische Motive zur Abschaffung der Nuklearwaffen auf. Er schließt sich der Auffassung zahlreicher Honoratioren aus Politik und Wissenschaft an, die, ähnlich wie bei Bio- und Chemiewaffen, die Illegalisierung der Nuklearwaffen fordern. Im Sinne »des Eids des Hippokrates« ist eine freiwillige, globale Selbstverpflichtung zu ethischem Handeln auch für Wissenschaftler zu fordern.
Der Autor verweist auch darauf, dass der Schritt von einem zivilen zu einem militärischen Nuklearprogramm nur sehr klein ist. Schwach angereichertes Uran, das sich zur zivilen Nutzung eignet, kann nach Auffassung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien innerhalb kürzester Frist soweit angereichert werden, dass es für Nuklearwaffen benutzt werden kann. Voraussetzung hierfür ist lediglich eine entsprechende Anreicherungsanlage. Solange wir auf zivile Nuklearenergie setzen, können wir auch die Gefahr der militärischen Nutzung der Nuklearenergie nicht ausschließen, lautet ein Fazit des Autors.
Matthias van der Minde gelingt es eindrucksvoll und überzeugend, das heute viel zu sehr unterschätzte Problem der Atomwaffen wieder ins Blickfeld der kritischen Öffentlichkeit zurückzuholen. Diesem wichtigen, höchst informativen Buch ist ein großer Leserkreis zu wünschen.
Matthias van der Minde: Die Atomwaffen nieder! Völkerrechtliche und zivilgesellschaftliche Wege der atomaren Abrüstung. VSA- Verlag. 176 S., br., 16 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.