Lehrer zu verleihen
Private Personaldienstleister haben die Schulen als Markt für sich entdeckt
Kaum war die Meldung über den Einsatz von Leihlehrern an staatlichen Schulen in Hessen in der Öffentlichkeit, versuchte Dorothea Henzler die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Nur bei Lehrermangel solle es den Schulen künftig erlaubt sein, Verträge mit »Anbietern von Personaldienstleistungen« zu schließen, und dies auch nur dann, wenn eine anderweitige Besetzung einer vakanten Stelle nicht möglich sei. Von einem flächendeckenden Einsatz von Leihlehrern könne nicht die Rede sein.
Ganz so harmlos wie die liberale Kultusministerin die Angelegenheit darstellt, ist diese aber nicht. Denn mit der Regelung betritt Hessen keinesfalls Neuland. Lehrer als Zeitarbeiter an staatlichen Schulen gibt es hier schon seit 2005. Vorreiter waren die beruflichen Schulen, die an dem Modellversuch »Selbstverantwortung plus« teilnahmen, berichtet Herbert Storn vom GEW-Bezirksverband Frankfurt am Main. Verstärkt hätten in der Folgezeit Privatfirmen auf den Markt gedrängt, um den Unterricht an den Schulen zu gewährleisten. Rechtlich abgesichert wurde das von der hessischen Landesregierung bereits Mitte 2006 mit einer entsprechenden Verwaltungsverordnung.
Daher treten in Hessen an allgemeinbildenden Schulen mittlerweile private Personaldienstleister als Arbeitgeber auf. Eine dieser Firmen ist die CampuService GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main. Das Tochterunternehmen der Frankfurter Goethe-Universität vermittelt seit dem Schuljahr 2005/06 arbeitslose Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Leiharbeiter für den Unterricht. Als Türöffner fungierte nach Angaben des Geschäftsführers des Unternehmens, Jochen May, das Schulamt im Kreis Groß-Gerau. Mittlerweile hat CampuService laut May Verträge mit sieben der insgesamt 15 staatlichen Schulämtern in Hessen geschlossen. In den vergangenen fünf Jahren kamen so 150 Akademiker zu einem Unterrichtseinsatz an hessischen Schulen, aktuell sind 46 Wissenschaftler als Lehrer »entliehen«. Überwiegend sind es gelernte, arbeitslose Naturwissenschaftler, die zum Einsatz kommen. Die Rückmeldungen von Schulen und Eltern sind »durchweg positiv«, betont May.
Das wundert nicht, denn das Land Hessen hat – einem bundesweiten Trend folgend – in den vergangenen Jahren viel zu wenig Lehrkräfte in den Naturwissenschaften ausgebildet. Gewissermaßen wurden und werden von der Politik damit die Voraussetzungen geschaffen, die als Begründung für den Ausbau des Lehrer-Leihsystems herhalten müssen. Lehrkräfte von Personaldienstleistern würden dann zum Einsatz kommen, »wenn eine Versorgung mit beamteten oder angestellten Lehrern nicht gewährleistet ist«, teilt das Kultusministerium auf Nachfrage mit. Das sei in den Mangelfächern »in der Regel der Fall«. Noch deutlicher spricht es Jochen May aus: Die Schulen müssten sich entscheiden – »entweder sechs Monate ohne Physiklehrer oder einen von uns vermittelten promovierten Physiker«.
»In dieser Zwickmühle steckt auch die Personalvertretungen an den Schulen«, sagt Herbert Storn. »Die Kolleginnen und Kollegen stehen unter einem enormen Druck, prekären Beschäftigungsverhältnissen zuzustimmen, wenn eine lange Zeit vakante Stelle endlich besetzt werden kann.« Er fürchtet, dass das Land noch einen Schritt weitergehen könnte. Die Unternehmerverbände übten seit Jahren Druck auf die Regierung in Wiesbaden aus, die staatlichen Schulämter aufzulösen. »Die Lehrerfortbildung in Hessen ist bereits weitgehend privatisiert, den Schulen könnte ähnliches bevorstehen.« Langfristig könnten die Schulämter in Personalfragen schließlich nur noch eine beratende Funktion haben. »Beratung klingt gut, heißt aber, dass die Schulen bei der Besetzung offener Stellen systematisch alleine gelassen werden; die Schulen greifen dann nach jedem Strohhalm, der ihnen entgegengehalten wird.« Schon heute, so Storn, würden an manchen Schulen mit hohem Personalmangel, »Verträge zwischen Tür und Angel abgeschlossen«.
Eigentlich ist Hessen auf Leiharbeiter im Schuldienst nicht angewiesen. »Es gibt eine ganze Palette von Möglichkeiten, freie Stellen zu besetzen – etwa über Quereinsteiger«, betont Storn. Er vermutet, dass die Zeitarbeit jedoch eine Option ist, die sich die schwarz-gelbe Koalition in Wiesbaden bewusst offen hält. Man wolle offenbar Schulen, die »nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten«.
Ob sich Zeitarbeit an Schulen für die Staatsfinanzen lohnt, ist jedoch zweifelhaft. Zwar werden die Aushilfslehrer von CampuService lediglich nach einem an den öffentlichen Dienst angelehnten Tarif bezahlt. Angelehnt heißt, dass sich das Unternehmen zwar von der Gehaltshöhe an dem orientiert, was die öffentlichen Arbeitgeber zahlen, Berufserfahrung, Familienstand etc. allerdings nicht berücksichtigt werden. Natürlich könne seine Firma die Leihlehrer nicht als Billig-Kräfte verramschen, betont Jochen May, »schließlich sind das alles gestandene Akademiker, die entsprechende Gehaltsvorstellungen haben«. Langfristig rechnet sich Zeitarbeit für die Finanzminister der Länder auch deshalb nicht, weil der Staat zusätzlich zu dem Gehalt der Lehrer an den Personaldienstleister eine Verwaltungspauschale zahlen muss.
Mit seiner Art, die Personalmangelwirtschaft an den Schulen zu beheben, steht Hessen bislang allein auf weiter Flur. Kein anderes Bundesland plant derzeit dem Beispiel Hessen zu folgen. Bayern verweist auf seine negativen Erfahrungen mit einem Pilotprojekt im Bezirk Unterfranken. Dort durften die Schulämter von 2007 bis Ende des letzten Schuljahres auf die Angebote von Personaldienstleister zurückgreifen. Das Ergebnis war ernüchternd. Vielfach seien die vermittelten Leihlehrer nicht ausreichend pädagogisch qualifiziert gewesen, berichtet Gustav Eirich, Leiter des Bereichs Schule bei der Bezirksverwaltung Unterfranken. Um den Personalmangel zu beheben, habe man schließlich auf »bewährte Methoden« zurückgegriffen: Pensionäre wurden reaktiviert und Teilzeitverträge in Vollzeitverträge umgewandelt. Im Osten Deutschlands stellt sich das Problem des Lehrermangels wegen der seit Jahren sinkenden Schülerzahlen eh nicht. »Wir haben eher einen Personalüberhang«, lautet exemplarisch die lapidare Antwort von Kathrain Graubaum, Pressesprecherin des Kultusministeriums in Sachsen-Anhalt.
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