Ankara gibt sich unbeeindruckt

Türkei bastelt weiter am Atomeinstieg – auf erdbebengefährdetem Grund

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 2 Min.
Am Tag des großen Bebens vor der Küste Japans verkündete der türkische Minister für Energie, Taner Yildiz, die japanischen Atomkraftwerke hätten »den Test bestanden«. Auch ein explodiertes Reaktorgebäude hielt ihn nicht davon ab, dies später zu wiederholen. Das Ziel der Regierung ist klar: Um das eigene Atomprogramm soll erst gar keine Diskussion aufkommen.

Die Türkei hat ein ähnliches Problem wie Japan: Sie steht auf wackeligem Grund. Doch während andere über den Ausstieg debattieren, organisiert man in der Türkei den Einstieg ins Atomzeitalter. Mit dem Bau des ersten kommerziellen türkischen Reaktors bei Akkuyu an der Mittelmeerküste soll in etwa einem Jahr begonnen werden. Das Gebiet gilt als erdbebengefährdet. In nur 20 bis 25 Kilometer Entfernung verläuft die Ecemis-Erdbebenspalte. Über die ist auf der Webseite der Kammer der Geologie-Ingenieure zu lesen, dass es sich um eine »aktive Erdbebenspalte« handelt, die – da seit 500 Jahren kein größeres Erdbeben stattgefunden habe – einen »gefährlichen Energiestau« besitze.

Die relativ kleine, aber rege Anti-AKW-Bewegung der Türkei hat bisher nur mit einer kleinen Kundgebung auf dem Taksim-Platz in Istanbul auf die neue Situation reagieren können. Nach dem Verlesen einer Erklärung verteilten sich die Teilnehmer wieder im Gewimmel des Platzes. Doch die Nachdenklichkeit nimmt auch in der Türkei zu. Kritiker bemängeln das Hauruckverfahren, mit dem die Regierung versucht, den Atomeinstieg durchzuziehen. Nach einer gescheiterten Ausschreibung für Akkuyu wurde der Auftrag ohne neues Verfahren nach Russland vergeben. Das russische Unternehmen Atomstroiexport soll ein Kraftwerk mit 4800 Megawatt Leistung für geschätzte 20 Milliarden Dollar bauen, das AKW allein betreiben und die Baukosten durch einen garantierten Strompreis wieder hereinholen.

Diese Entscheidung fiel vergangenes Jahr, doch die Lizenz über die Unbedenklichkeit eines Kraftwerks am Strand von Akkuyu ist bereits 38 Jahre alt. Alle drei Autoren der damaligen Studie sind mittlerweile der Meinung, dass diese Einschätzung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Kriterien von damals seien einfach nicht die Kriterien von heute, seinerzeit habe es noch keine so gravierenden Atomunfälle wie in Tschernobyl oder Fukushima gegeben, meint Prof. Dr. Tolga Yarman, der damals den Report unterschrieb.

Doch mit alternativen Standorten sieht es in der Türkei schlecht aus, jedenfalls was die Erdbebensicherheit betrifft. Nur acht Prozent des Landes gelten als nicht erdbebengefährdet, das ist insbesondere ein Landstück in Anatolien in der Gegend von Konya, weitab von Meeren, Flüssen und Grenzen, an die man Kernkraftwerke gerne baut. Ein weiteres Atomprojekt nach Akkuyu ist trotzdem schon geplant. Es soll bei Sinope am Schwarzen Meer entstehen und noch größer als Akkuyu werden. Gerade in diesen Tagen ist eine japanische Delegation in der Türkei, um über den Bau des AKW zu verhandeln. Weitere Kraftwerksprojekte sollen in Kürze folgen. »Der Pfeil hat den Bogen verlassen«, schwärmte Energieminister Yildiz im Februar.

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