Zehntausende Atomkraftgegner gehen auf die Straße

Margot Käßmann: Regierung müsste Fehler eingestehen

  • Lesedauer: 3 Min.
In vielen deutschen Städten haben am Wochenende Menschen für den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert. Für heute sind bundesweit mehr als 600 Mahnwachen und Demonstrationen geplant.

Hannover/Frankfurt am Main. (Agenturen/ND). Zehntausende Atomkraftgegner haben am Wochenende die Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland gefordert und der Opfer der Katastrophen in Japan gedacht. Allein in Hannover gingen laut Polizeiangaben am Samstag rund 10 000 Menschen auf die Straße. Es sei Zeit für ein Nein ohne jedes Ja, sagte der evangelische Stadtsuperintendent, Hans-Martin Heinemann, auf der Kundgebung. »Diese Technologie ist nicht faszinierend und ein Ausweis der Grandiosität menschlicher Wissenschaft, sondern eine hochgefährliche Gratwanderung.«

In zahlreichen weiteren Städten demonstrierten die Gegner der Atomkraft. In Hamburg folgten über 1200 Menschen dem Aufruf von Gewerkschaften und Kirchen. Die Demonstranten protestierten vor der Geschäftsstelle des Stromkonzerns Vattenfall, der die AKW Krümmel und Brunsbüttel betreibt. In Köln kamen nach Veranstalterangaben bis zu 2000 Aktivisten zusammen, in Göttingen waren es rund 1000. Am Sonntag versammelten sich Atomgegner vor dem baden-württembergischen Atomkraftwerk Neckar-Westheim.

Mehr als tausend Atomkraftgegner protestierten am Samstag vor dem Rathaus in Landshut für das endgültige Aus des Kraftwerks Isar 1. Die Teilnehmer schwenkten Fahnen mit dem Symbol für den Atomenergieausstieg und riefen »Abschalten«. »Eigentlich müssten wir ›endgültig abschalten‹ rufen«, sagte Rosi Steinberger, niederbayerische Bezirksvorsitzende der Grünen. Nach einer Schweigeminute für die Opfer von Japan warnte Joachim Schmid vom IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung von Atomkrieg) vor Gesundheitsgefahren durch Atomkraftwerke. Seit Langem findet in Landshut einmal im Monat eine »Countdown-Veranstaltung« für das Ende von Isar 1 statt. Der Termin für die Proteste am Samstag stand schon seit Monaten fest. »Solange wir keine Sicherheit haben, dass das Kraftwerk abgeschaltet wird, gehen wir weiter auf die Straße«, erklärte Rosi Steinberger.

Im Wendland rund um Gorleben werden Mahnwachen für die Betroffenen der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima vorbereitet. Auch in Hannover, seit 1983 Partnerstadt von Hiroshima, gedachten die Teilnehmer der Opfer des Erdbebens und Tsunamis und der Nuklearkatastrophe in Japan mit einer Schweigeminute. In zahlreichen Kirchen wurden Gedenkandachten und Gebete für die Menschen in dem asiatischen Land gehalten.

Im evangelischen Kirchenkreis Rotenburg bei Bremen sollen ab diesem Montag bis zum 26. April immer abends um 18 Uhr Glocken zum Gebet für die Katastrophenopfer in Japan und zur Abkehr von der Atomkraft rufen. Der 26. April ist der Jahrestag der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl vor 25 Jahren.

Für Montag haben Aktivisten in mehr als 670 Städten und Orten Mahnwachen und Demonstrationen angemeldet. Am kommenden Wochenende sollen in Berlin, Hamburg, Köln und München Großdemonstrationen stattfinden.

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, forderte die Bundesregierung auf, ihre Kehrtwende in der Atompolitik zu erklären, um wieder glaubwürdig zu sein. »Die Regierung müsste sagen: Wir sind schockiert, wir haben das falsch eingeschätzt! Mir würde das helfen, die politische Wende zu verstehen«, sagte Käßmann dem Berliner »Tagesspiegel am Sonntag«.

Auch die deutschen Lutheraner haben angesichts der Nuklearkatastrophe in Japan den Ausstieg aus der Atomtechnik gefordert. »Atommeiler bersten, Kettenreaktionen sind nicht beherrschbar. Was wir verharmlosend ›Restrisiko‹ zu nennen pflegten, ist Realität geworden«, sagte der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich in seiner Predigt im schleswig-holsteinischen Ratzeburg am Sonntag. Dies wecke Ängste, die zu der Forderung nach Umkehr und Ausstieg führten, sagte Ulrich, der auch Stellvertreter des Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ist.

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