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Den Armen stehlen sie das Dach über dem Kopf

In Kambodscha werden tausende Menschen gewaltsam vertrieben – Landraub in großem Stil

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Robert Luchs, Phnom Penh
Am Rande von Phnom Penh: Die letzten Bewohner am Boeung Kak See, der inzwischen fast vollständig zugeschüttet wurde. Tausende mussten zuvor ihre ärmlichen Hütten verlassen.
Am Rande von Phnom Penh: Die letzten Bewohner am Boeung Kak See, der inzwischen fast vollständig zugeschüttet wurde. Tausende mussten zuvor ihre ärmlichen Hütten verlassen.

Der weltweite Ausverkauf von Ackerland ist spätestens seit der Hungerkrise 2008 voll in Gang gekommen. Das Phänomen des Landankaufs durch reiche Staaten und Großkonzerne findet sich vor allem in armen Staaten Afrikas und Asiens. Kambodscha ist ein Beispiel.

Als Ouk Soroun von einem Verwandtenbesuch in die Hauptstadt Phnom Penh zurückkehrt, traut er seinen Augen nicht: Die Hütten seines Wohngebietes nahe der Russischen Botschaft sind in einem Umkreis von mehreren hundert Metern zerstört. Neben seiner Bambushütte, eine der wenigen verbliebenen, steht ein riesiger Bulldozer, dessen gewaltige Reifen sogar den Dachfirst überragen.

Die Anwohner waren von den kambodschanischen Behörden vor die Wahl gestellt worden: zwischen einer symbolischen Entschädigung von einigen tausend Dollar oder einer Ersatzhütte weit vor den Toren der Hauptstadt. Diejenigen, die einen Job haben, hätten mehrere Stunden gebraucht, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, wenn sie sich für die zweite Lösung entschieden hätten. Die finanzielle Variante erscheint auf den ersten Blick in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen bei 50 Dollar liegt, attraktiv. Doch stehen die von den Behörden angebotenen Gelder in keinem Verhältnis zu den Grundstückspreisen, die in den vergangenen Jahren rasant gestiegen sind.

Ouk Soroun weiß, dass ihm nicht viel Zeit für seine Entscheidung bleibt. Die Behörden als Handlanger großer Konzerne machen Druck. Das inzwischen auch am Rande Phnom Penhs wertvoll gewordene Bauland wird kurz nach der mit der Vertreibung von Hunderten von Menschen einhergehenden Räumung mit hohem Gewinn verkauft. Man kann nur ahnen, wie viel davon in den Taschen der städtischen Beamten verschwindet.

Ouk Soroun hat Tausende von Leidensgenossen am Rande des Boeung Kak Sees. Nach einer beispiellosen Vertreibungsaktion leben nur noch wenige Familien hier. Der See ist inzwischen weitgehend zugeschüttet worden, aber noch weiß niemand, welche Firmen tätig sind und welche Gebäude entstehen sollen.

Sam Muny (45) ist geblieben – noch lassen die Behörden ihn und seine achtköpfige Familie in Ruhe. Mühsam schlägt er sich durch, verkauft die bei den Kambodschanern beliebten Flussmuscheln, um die Miete für die baufällige Hütte in Höhe von umgerechnet 25 Dollar im Monat und einen Sack Reis bezahlen zu können. Muny weiß: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch er sich um eine andere Bleibe wird umsehen müssen. Haben die Kambodschaner die Machenschaften bisher klaglos hingenommen, so formiert sich allmählich Widerstand. Die Entschlossenheit der Bewohner, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen, wird unterstützt von westlichen Nichtregierungsorganisationen, aber in jüngster Zeit auch immer öfter von kambodschanischen Menschenrechtsorganisationen wie Adhoc und Licadho, deren Präsidentin Kek Galabru weit über die Landesgrenzen hinaus hohes Ansehen genießt. Diese Organisationen wissen, welche integren Anwälte sie einschalten und welche Kontakte sie nutzen müssen. Grundlegend hat das noch nichts geändert: Die Vertreibungen, oft verbunden mit Landraub, gehen weiter – aber auch die Proteste nehmen zu. Kürzlich wurden sogar Militärpolizisten eingesetzt, um eine Protestdemonstration in der Provinz Kandal aufzulösen. Zwei Dorfbewohner wurden verletzt, als auf die Menge geschossen wurde. Auch hier das gleiche Bild: ein Gebiet von 300 Hektar Land, das zu den Gemeinden Kandork und Ampov Prey gehört, wird »gesäubert«.

Die Dorfbewohner lassen sich zunächst nicht einschüchtern. Erst als schwerbewaffnete Militärpolizisten das Feuer eröffnen, weichen die Demonstranten zurück – aber nur für kurze Zeit, um sich dann in Richtung Takhmau in Bewegung zu setzen, wo Ministerpräsident Hun Sen eines seiner vielen Häuser besitzt. Ob der mächtige Regierungschef den Artikel 31 der kambodschanischen Verfassung kennt, der ausdrücklich festlegt, dass »das Königreich Kambodscha die Menschenrechte ... anerkennt und respektiert?« Hun Sen lässt sich nicht blicken. Es wäre auch das erste Mal, dass der Ministerpräsident sich dazu herablässt, mit Vertretern seines Volkes zu reden, die lediglich versuchen, ihre ureigenen Rechte einzufordern.

Kek Galabru, die Präsidentin von Licadho, verurteilt scharf das rücksichtslose Vorgehen der Behörden und der Polizei. Die Bauern hätten lediglich ihre verfassungsmäßigen Rechte in Anspruch genommen. Einige Fälle sind juristisch besonders kompliziert, da die Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 das Katasterwesen im Land völlig vernichtet hatten. Besitz widersprach der kommunistischen Ideologie der damaligen Herr-scher, die sich eine Art Steinzeitkommunismus zum Ziel gesetzt hatten.

Die rechtliche Grauzone kommt heute Konzernen aus Südkorea, Taiwan, der Volksrepublik China und Malaysia zugute, die mit Duldung oder Hilfe der kambodschanischen Behörden sich Land aneignen, um dort neue Textilfabri-ken oder Einkaufszentren zu errichten. Laut Amnesty International sind rund 150 000 Kambodschaner ständig von Vertreibungen bedroht – eine eher noch zu niedrig gegriffene Zahl.

Besonders schwer trifft der Landraub die über 100 000 Ureinwohner unter den 14,5 Millionen Kambodschanern. Sie leben in engem Einklang mit der Natur in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Mondulkiri und Ratanakiri. »Wer den Lebensraum der Ureinwohner aus reinem Gewinnstreben gefährdet, verurteilt sie zu einem langsamen Tod«, sagt Chith Sam Ath, Leiter eines Forums, das sich der Belange der Vertriebenen angenommen hat.

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