Augen auf in der Kosmetikabteilung
Produktverpackungen versprechen häufig natürliche Inhaltsstoffe
»An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD«. Der Werbespruch für Seife feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag. Hätten sich Frauen jahrzehntelang an das Motto gehalten, gäbe es heute die milliardenschwere Kosmetikindustrie so nicht. Neben Seife buhlen Creme, Lotion, Gel oder Puder in tausenderlei Varianten um die Gunst der Konsumenten. Wer auf sein Äußeres wert legt – egal ob Frau oder Mann – glaubt, ohne ein gerütteltes Sortiment an Schönheitshelfern im Bad nicht auszukommen. Ob die mehr oder weniger teuren Mittelchen wirklich ihr Geld wert sind, das muss jeder für sich entscheiden. Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Werbung etwas vorgaukelt. Etwa beim neuesten Trend, immer mehr Produkte mit natürlichen Zutaten aufzupeppen. Wo bloß Natur draufsteht, aber viel Chemie drin ist, lässt sich auf den ersten Blick allzu oft nicht erkennen.
Die Vielfalt an Shampoos, Zahncremes oder Schminkutensilien ist so enorm wie verwirrend. Da liegt im Verkaufsregal plötzlich neben der gewohnten Vademecum Zahncreme eine neue Variante, die Vademecum Bio. Vielleicht stutzt der eine oder andere Kunde und fragt sich, was denn dann bisher aus der Tube kam. Aber ganz ehrlich, wer macht sich beim Einkauf wirklich die Mühe und liest die Inhaltsstoffe? Schließlich stehen vorne auf der Packung, häufig groß bebildert, verheißungsvolle Zutaten: Aloe Vera, Mango-Öl, Kokosbutter, Granatapfel-Extrakt, Kräuter. Ohnehin mag der Blick auf die rückseitig in winziger Schrift gedruckten Zutaten direkt zur Kapitulation führen. Denn die sogenannten »Ingredients« präsentieren sich als Kombination aus englischer und lateinischer Sprache. Das liest sich dann so: Butylphenyl Methylpropional, Ammonium Laureth Sulfate, Dimethicone Cetearyl Alcohol, Glycol Distearate.
Wortungetüme in Englisch und Latein
Aufklärung über die Wortungetüme bietet eine komplette Liste aller zugelassenen Inhaltsstoffe, herausgegeben vom Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel. Die 144 Seiten umfassende PDF-Broschüre kann unter www.ikw.org kostenlos heruntergeladen werden. Viel mehr als die Übersetzungen ins Deutsche sowie die Verwendungsmöglichkeiten jeder Zutat ist allerdings nicht zu erfahren. Die wichtigste und hilfreichste Information der Broschüre über die Zutaten lautet: »Der Inhaltsstoff mit dem größten Anteil steht am Anfang und danach alle anderen. Rohstoffe, die weniger als ein Prozent der Gesamtbestandteile ausmachen, erscheinen am Ende in ungeordneter Reihenfolge.« Leuchten also beispielsweise frische Kräuter auf einer Packung, aber Chamomilla (Kamille) und Co stehen am Ende der Ingredients, dann steckt auch nur ein Tröpfchen Kräuterextrakt in Flasche, Tiegel oder Tube.
»Meist verlieren sich Mini-mengen an natürlichen Stoffen in einem Meer von Chemie«, weiß Silke Schwartau, Sprecherin der Verbraucherzentrale Hamburg, aus Erfahrung. Die großzügige Werbung mit Kraut und Obst ist für sie nur ein Ärgernis. Schlimmer noch sind solche Aufschriften: »Bio«, »Natural«, »naturbasierte Inhaltsstoffe«, »Pflanzenkosmetik«, »naturefusion«, »Naturessenzen« oder einfach »natürlich«. Sie könnten glauben machen, es handle sich um ein reines Naturprodukt. Mehrere Faktoren lassen den Markt für solche Möchtegern-Naturkosmetik boomen: Das Geschäft mit echter Bio-Kosmetik wächst kräftig. Allein im vergangenen Jahr um elf Prozent auf 795 Millionen Euro, während der Umsatz mit Kosmetik insgesamt schrumpfte. Das lockt die Hersteller konventioneller Produkte an.
Gleichzeitig werden Verbraucher nicht allein bei Nahrungsmitteln, sondern ebenso bei der Körperpflege immer kritischer. »Das Bedürfnis nach naturnaher Kosmetik ist sehr groß«, bestätigt Inga Voller für das Unternehmen Beiersdorf. Aber billiges Bio-Shampoo ist nun mal genauso unrealistisch wie billige Bio-Eier. Je mehr aufwändig produzierte, pflanzliche Bestandteile enthalten sind, desto höher ist zwangsläufig der Preis.
Werbung führt gezielt in die Irre
Längst nicht jeder kann oder will sich das leisten. Diese Erfahrung hat gerade die Firma Henkel gemacht. Auf Anfrage teilt Sprecherin Annamaria Englebert mit: »Schauma Bio Granatapfel Shampoo hat sich aufgrund der Positionierung in einem höheren Preissegment, bedingt durch höhere Rohstoffkosten für natürliche Inhaltsstoffe, leider nicht bei den Konsumenten durchsetzen können.« Daher werde das Shampoo schon sehr bald aus den Verkaufsregalen verschwunden sein.
Ein Naturprodukt ist Schauma Bio ohnehin nicht, sondern eine Mischung aus natürlichen und chemischen Inhaltsstoffen. Daran hat die Verbraucherzentrale auch nichts auszusetzen, im Gegenteil, sagt Silke Schwartau: »Mehr natürliche Zutaten sind eine erfreuliche Entwicklung bei den Massenprodukten.« Das eigentliche Problem sei die irreführende Werbung. Sie suggeriert, das ganze Produkt sei Bio. Weitere Beispiele liefert die Verbraucherzentrale in ihrer PDF-Liste »Greenwashing bei Kosmetika«. Sie ist unter www.vzhh.de als Download erhältlich. Das dort ebenfalls kritisierte Spa Vegetal Körper-Peeling bewirbt Hersteller Yves Rocher als Pflanzenkosmetik. Es enthält unter anderem synthetische Farb- und Konservierungsstoffe. Rocher-Sprecherin Sabine Fesenmayr stellt klar: »Wir stellen keine Naturkosmetik her, sondern Pflanzenkosmetik, die ihr Potenzial und ihre Inspiration aus der Natur schöpft.« Nur, wer erklärt derart feinsinnige Unterschiede all den Kunden? Gleiches gilt für die Pflegeserie Pantene Pro-V »Naturefusion« von Procter & Gamble. Neben natürlichen Inhaltsstoffen wirken Tenside, Farb- und Konservierungsstoffe mit. »Wir haben Naturefusion und nicht Nature auf die Verpackungen geschrieben, weil es sich um eine Kombination aus Natur- und anderen wissenschaftlichen Inhaltsstoffen handelt«, entgegnet Sprecherin Heike Ruebeling auf die Kritik an der Aufmachung.
Die Kosmetikindustrie streitet untereinander, was eigentlich Naturkosmetik sein soll. Dürfen nur Zutaten aus biologischem Anbau hinein oder reicht es, wenn fast keine Chemie verwendet wird? Der Gesetzgeber hat nämlich, anders als bei dem inzwischen vertrauten Bio-Siegel für Lebensmittel, nicht per Gesetz geregelt, unter welchen Bedingungen sich Kosmetika mit »Bio« schmücken dürfen. Also machen etliche Hersteller, was sie wollen. Andere wiederum produzieren seit Langem ausschließlich reine Bio-Kosmetik ohne Wenn und Aber. Dazu gehören beispielsweise Weleda, Demeter, Dr. Hauschka, Alterra oder Logona. »Im konventionellen Handel gibt es uns nicht zu kaufen«, erklärt Renée Herrnkind von Demeter die Abgrenzungsstrategie. Sie und viele andere Bio-Hersteller versehen ihr Sortiment außerdem mit einem Label, das die Einhaltung strenger Vorschriften garantiert.
Die Sache hat allerdings einen gewaltigen Haken, moniert Judith Hübner, Umweltreferentin bei ›Die Verbraucherinitiative e.V. (Bundesverband)«: »Jeder kann sein eigenes Label entwerfen, solange die Verbraucher damit nicht getäuscht werden.« Und genau das ist passiert, es existiert nicht ein einziges, sondern ein gutes Dutzend Label. Erläuterungen und Bewertungen zu den häufigsten Labels stellt Die Verbraucherinitiative auf der Website www.label-online.de vor.
Einige Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich die Anforderungen ausfallen. Das europäische Umweltzeichen, die Euro-Blume, wird nur für Seife, Shampoo und Hairconditioner vergeben. Es besagt nicht mehr, als dass die Ausgezeichneten im Vergleich zu herkömmlichen Produkten umweltverträglicher sind. Chemie ist in Grenzen erlaubt. Die Labels »Global Ethics« und »neuform« schreiben, soweit für den Hersteller möglich, Zutaten aus biologischem Anbau vor. Gentechnisch veränderte Organismen sind ebenso verboten wie Rohstoffe von toten Tieren. Das »NaTrue«-Siegel gab es bislang mit einem, zwei und drei Sternen, für wenige bis hin zu 95 Prozent im Produkt enthaltene Naturstoffe. Nun fallen die Sterne aus dem Logo, obwohl die dreistufige Zertifizierung weiter besteht – der Käufer bleibt ratlos zurück.
Ratlose Käufer bleiben zurück
Wenn Konkurrenz nicht das Geschäft belebt, sondern alle gemeinsam ins unübersichtliche Chaos stürzen, hilft nur noch Kooperation. Also haben sich die Zertifizierer weiterer fünf Labels an einen Tisch gesetzt und gemeinsam den internationalen Cosmos Standard für Kosmetika entwickelt. Beteiligt daran: BDIH, Cosmebio, Ecocert, ICEA, Soil Association. »Durch die Zusätze ›Cosmos natural‹ und Cosmos organic‹ bei unseren Labels kann der Verbraucher künftig erkennen, dass das Produkt diesen einheitlichen internationalen Regeln entspricht«, freut sich BDIH-Geschäftsführer Harald Dittmar. Für die Verbraucher wäre es ein echter Durchblick im Siegeldschungel gewesen, hätten sich die Akteure darüber hinaus auf ein gemeinsames Label verständigt. Stattdessen bereichern jetzt zehn verschiedene Cosmos-Siegel das Chaos.
Das wird nur noch getopt durch Fantasieaufdrucke wie »dermatologisch getestet« oder »hypoallergen«. Was sich wie ein Nachweis höchster Qualität liest, sagt in Wahrheit nichts aus. Denn, so Judith Hübner vom der Verbraucherinitiative: »Jeder Kosmetikhersteller muss gesetzlich vorgeschriebene Tests durchführen.« Vorher darf weder Tube noch Tiegel ins Verkaufsregal wandern
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