Côte d'Ivoire in der Spirale der Gewalt
Streit ums Präsidentenamt verursacht Flüchtlingsströme und Versorgungsnöte
Im Machtkampf in Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) haben sich die Truppen der Konkurrenten um das Präsidentenamt am Mittwoch Gefechte vor den Toren der Hauptstadt Yamoussoukro geliefert. Derzeit konzentrieren sich die Kämpfe auf das Zentrum von Tiébissou, etwa 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Tiébissou wurde bisher von Soldaten des langjährigen Präsidenten Laurent Gbagbo gehalten, der sich seit der Wahl Ende November weigert, die Macht abzugeben. Soldaten des international anerkannten Präsidenten Alassane Ouattara hatten am Montag an mehreren Fronten eine Offensive gestartet, um den Machtwechsel zu erzwingen.
Derweil halten die Konflikte im wirtschaftlichen Zentrum Abidjan und im Westen des Landes an. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnte bereits am vergangenen Freitag, die Gewalt habe verheerende Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung. »Gesundheitszentren sind nicht länger betriebsfähig oder können nur sehr begrenzte Dienstleistungen erbringen, da medizinisches Personal geflüchtet ist. Sie haben außerdem keine Medikamente oder Sanitätsartikel, da Kliniken geplündert wurden«, sagte Renzo Fricke, Nothilfe-Koordinator der Organisation.
Die Lieferung neuer Medikamente ist aufgrund von Transportproblemen, aber auch von wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen erschwert. In Abidjan sind alle sechs Krankenhäuser wegen der Unruhen ohne Personal, berichteten Gesundheitsbehörden. Nur ein Krankenhaus im Stadtbezirk Abobo, wo zwei Millionen Menschen leben, sei betriebsfähig. Medizinische Teams hätten in den vergangenen Wochen in diesem Krankenhaus 273 Notfälle behandelt. Fast alle Patienten hatten Schusswunden.
»Wir hörten täglich Geschützfeuer in Abobo«, berichtete der Notarzt Okanta Chibuzo. »Jeden Tag wurden 10 bis 15 Verwundete eingeliefert.« Aufgrund der Gewalt seit den Präsidentschaftswahlen sind eine halbe Million Ivorer vertrieben worden, schätzt das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Fast 100 000 seien nach Liberia geflüchtet, während andere in den Nachbarländern Togo, Guinea, Burkina Faso, Ghana und Mali Aufnahme gefunden habe.
Viele Flüchtlinge leiden laut Ärzte ohne Grenzen an Durchfall, Hautkrankheiten und Atembeschwerden. Dazu habe es einen Ausbruch von Malaria gegeben. Die Organisation betreibt mobile Kliniken in Städten und Dörfern auf beiden Seiten der Grenze. Doch es sei schwierig, medizinische Hilfe in der Nähe von Unruheherden zu leisten. »Die Bevölkerung ist von der Flucht erschöpft, und das macht ihrer Gesundheit zu schaffen«, erklärte Carole Coeur, Leiterin von Ärzte ohne Grenzen in Man. »Wir haben Schwierigkeiten mit der Lieferung von Medikamenten, aber es fehlt auch an Nahrungsmitteln. Wir sehen außerdem Probleme mit dem Zugang zu Trinkwasser.«
Das UNHCR empfiehlt den Flüchtlingen, sich aus der Grenzregion zu entfernen und im liberianischen Flüchtlingslager in Bahn oder einem der 16 ausgewählten »Gastdörfer« Hilfe zu suchen. Drei weitere Lager sind geplant. Momentan haben Flüchtlinge aus Côte d'Ivoire in mehr als 90 Dörfern entlang der Grenze Schutz gesucht, was es schwierig macht, sie zu versorgen. Doch viele wollen in Grenznähe bleiben, in der Hoffnung, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können.
»Wir haben in unserer Stadt 3000 Flüchtlinge aufgenommen. Doch unsere Brunnen sind ausgetrocknet. Wir haben nur eine Handpumpe, um Trinkwasser zu pumpen. Daher ist es wirklich nicht einfach, diese Flüchtlinge zu beherbergen«, sagt Jeff Ngila, ein Lehrer, der in Kbarplee lebt.
Die Nachbarländer baten die UNO vor Wochenfrist, das Mandat ihrer 12 000 Blauhelme zu verstärken und gegen Gbagbos Anhänger vorzugehen. Besonders Liberia, das den Großteil der Flüchtlinge aufnehmen muss, ist um seinen eigenen schwachen, erst seit acht Jahren andauernden Frieden besorgt. Auch UN-Flüchtlingskommissar António Guterres warnte diese Woche, dass sich die Auseinandersetzungen auf Liberia ausweiten könnten. Die Konfliktparteien könnten Kämpfer in Liberia anheuern und Waffen über die poröse Grenze schmuggeln. »Es ist klar, dass der Konflikt beendet werden muss«, sagte Guterres. »Das Ausmaß menschlichen Leidens ist horrend. Alle Nachbarländer könnten stark beeinträchtigt werden.« Die UNO-Mission in Liberia hat ihre Militär- und Polizeipräsenz entlang der 700 Kilometer langen Grenze bereits verstärkt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.