»Todesstaub« über Libyen?
Kriegsgegner fordern, Waffen mit abgereichertem Uran zu ächten
Die Besorgnis ist nicht unbegründet, denn die von der westlichen Marine und Luftwaffe in Libyen eingesetzten Kampfflugzeuge sollen Raketen mit DU-Sprengköpfen tragen. Urangehärtet sind auch die Bomben an Bord der US-amerikanischen B-2-Maschinen wie die Sprengköpfe der Flügelraketen auf den im Einsatzgebiet befindlichen Kriegsschiffen.
»Depleted Uranium« entsteht als Nebenprodukt bei der Urananreicherung von Brennelementen für Atomkraftwerke und wird als panzer- und bunkerbrechende Waffe eingesetzt. Durch seine Dichte, die um 70 Prozent höher liegt als die von Blei, verleiht das enthaltene Uran-238 dem Geschoss ein hohes Gewicht und damit eine enorme Durchschlagskraft. Trifft die Rakete oder Bombe, zerstört sie das Ziel und setzt eine brennende Dunstwolke frei, die sowohl giftig als auch radioaktiv ist. Die eingeatmeten Uranoxidpartikelchen lösen sich in der Lunge auf und gelangen so in die Blutbahn und ins Gewebe. Auch über Wunden kann die Substanz in den Körper eindringen. Folgeschäden sind Tumore, Leukämie und andere Krebserkrankungen sowie eine massive Schwächung des Immunsystems und Missbildungen durch Genmutationen. Solche genetischen Veränderungen werden dann über viele Generationen an die Kinder und Kindeskinder vererbt. Opfer sind häufig auch unbeteiligte Zivilisten.
Die westlichen Streitkräfte verschossen Uranmunition bereits in den Golf-Kriegen gegen Irak, auf dem Balkan und in Afghanistan. Arabische Staaten werfen Israel vor, im Libanon-Krieg 2006 und im letzten Gaza-Krieg ebenfalls Munition mit abgereichertem Uran verschossen zu haben. Auch während der sowjetischen Invasion Afghanistans, in Tschetschenien oder in indisch-pakistanischen Grenzkonflikten wurde Uranmunition eingesetzt. Über 20 Staaten verfügen vermutlich über die radioaktiv strahlenden Geschosse, die auf Grund ihrer Halbwertszeit faktisch ewig strahlen und Mensch wie Umwelt schädigen.
Bereits im Oktober 2003 konstatierten die Teilnehmer einer Uranwaffen-Konferenz in Hamburg gravierende Folgen der Anwendung 1991 in Irak. Dort herrsche eine zehnfach höhere Krebsrate und es gebe sieben Mal mehr Missbildungen bei Kindern, berichtete die irakische Epidemiologin Genan Hassan von der Universität Basra. Die Krankheitsbilder sind ähnlich, häufig tritt Leukämie auf, aber die Spannbreite der Krebsarten und anderer Krankheiten ist groß.
Der Kölner Journalist und Filmemacher Frieder Wagner hat sich in den Filmen »Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra« und »Deadly Dust – Todesstaub« mit den gefährlichen Folgen beschäftigt. Nach seinen Erhebungen sind in Italien über 100 der in Kosovo stationierten Soldaten an aggressiven Krebserkrankungen gestorben. Obwohl vom Bundesverteidigungsministerium deutsche Opfer abgestritten werden, starben mindestens drei Bundeswehrangehörige aus seinem Bekanntenkreis, die in der Umgebung von Prizren stationiert waren, ebenfalls an Krebs. US-Reservemajor Doug Rokke sammelte nach 1991 mit seinem Aufräumteam für ein halbes Jahr in Irak verstrahlte Munition ein, die die USA dort vorher abgefeuert hatten: »30 Mitglieder meines Teams sind inzwischen tot«, sagt er.
Deshalb regt sich Widerstand gegen den Einsatz von Uranmunition auch im Militär. So verurteilte der Arbeitskreis »Darmstädter Signal« Uranmunition als völkerrechtswidrig und fordert, dass Bundeswehrsoldaten, die aus Einsatzgebieten zurückkehren, auf mögliche Kontamination untersucht werden müssten. Studien, die die Weltgesundheitsorganisation WHO unter Verschluss hält, sollten offengelegt werden. Staaten, die Uranwaffen verschossen haben, müssten umfassend über die Einsatzkoordinaten informieren und betroffene Regionen unverzüglich dekontaminieren. Uranwaffen sollten nach Meinung der friedenspolitischen Gruppe weltweit geächtet, ihre Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Weitergabe wie ihr Einsatz verboten werden. Sowohl das Europaparlament als auch die UN-Vollversammlung – allerdings gegen die Stimmen Frankreichs, Großbritanniens, Israels und der USA – verabschiedeten Entschließungen gegen die Uranmunition. Über 120 Nichtregierungsorganisationen aus 30 Ländern fanden sich in der »International Coalition to Ban Uranium Weapons« (ICBUW) zusammen, die jetzt mit Blick auf Libyen so nachdrücklich warnte.
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