Gestrandet auf dem »Flugzeugträger«

Sizilien spielt eine Schlüsselrolle in der Konfrontation zwischen Libyen und dem Westen

  • Tom Mustroph, Mineo
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Krieg in Libyen hinterlässt Spuren auf Sizilien. Von den dort gelegenen US-Stützpunkten Trapani-Birgi und Sigonella werden Luftangriffe auf das nordafrikanische Land geflogen. In der Nähe der Basen sind Auffanglager für die Menschen eingerichtet, die aus ihren Ländern nach Lampedusa fliehen und auf ein besseres Leben in Europa hoffen.

Eine Fügung wollte es, dass einige Äthiopierinnen, die in Tripolis als Dienstmädchen arbeiteten, nun auf Sizilien in früheren Wohnstätten von US-Soldaten untergebracht sind, die jetzt möglicherweise ehemalige Wohn- und Arbeitsstellen der Frauen im Visier haben. Ein Transparent mit der Aufschrift »Fuck Capitalism« haben Aktivisten von linken und anarchistischen Gruppen als Kommentar zu dieser Situation am Eingang des »Dörfchens der Solidarität« in der Nähe von Mineo zurückgelassen. Es ist Überbleibsel einer Demonstration gegen den Krieg, gegen Rassismus und gegen die Benutzung Siziliens als »Flugzeugträger«.

Der Ort ist gut gewählt für diesen Protest. In der S-förmigen Wohnanlage lebten bis Ende des letzten Jahres Hunderte US-Marines aus dem nahen Stützpunkt Sigonella. Nachdem die Army die Unterkünfte aufgab und diverse Ferienparadiesprojekte scheiterten, erkor Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Komplex zur Heimstatt für die zu Tausenden in Lampedusa anlandenden Flüchtlinge. Als geschulter Marketingmann taufte er sie »Dörfchen der Solidarität«.

Im 5000-Einwohnerort Mineo, der auf einem Felsen hoch über der Anlage thront, ist von Solidarität wenig zu spüren. Bürgermeister Giuseppe Castania befürchtet eine »Überfremdung«, wenn seinem Ort eine an Einwohnerzahl gleichgroße Ansiedlung dauerhaft zu Füßen gelegt wird. Die Bewohner Mineos schreckt die Präsenz der Flüchtlinge jedoch nicht so sehr. »80 Prozent der Leute von Mineo sind ins Ausland gegangen. Viele haben in der Schweiz gearbeitet. Zwei Mal in der Woche fährt ein Bus direkt von Mineo nach Zürich und Lausanne. Jeder bei uns weiß, was Arbeitsmigration bedeutet«, erklärt der Wirt der Bar »Eden Latino«. Aber auch er wiegt bedenklich den Kopf und sagt: »Die Gegend hier ist arm. Wenn die Einwohner schon von hier weggehen, wie wollen sich dann die Neuankömmlinge ernähren?«

Dass diese Gegend kein guter Ort zum Überleben ist, hat sich auch unter den Insassen des Lagers herumgesprochen. Die 500 Tunesier, die vergangene Woche unter großer medialer Aufmerksamkeit von Lampedusa nach Mineo gebracht wurden, sind fast alle verschwunden. »Sie wollten nach Frankreich. Die meisten haben dort Verwandte«, berichtet Nadar. Er gehört zu einer afghanischen Gruppe, die aus Kalabrien nach Sizilien verlegt wurde. Seine Fluchtroute über Iran, die Türkei und Griechenland bis nach Italien ist seit Jahren bekannt. Weil sie weniger spektakulär als die Anlandungen auf Lampedusa ist, erfährt sie weniger Beachtung. Über die Afghanen wird auch deshalb weniger berichtet, weil sonst der Misserfolg der NATO-Operation am Hindukusch stärker ins Bewusstsein treten würde. Der aus Kandahar stammende Hamid, der ebenfalls in Mineo gestrandet ist, berichtet, dass »überall gekämpft« werde.

Hamid ist nach Europa gekommen, um zu arbeiten, um Geld zu verdienen und auch seiner Familie etwas zu schicken. »Dazu brauche ich Papiere. Die italienischen Behörden halten uns aber hin. Sie haben Fingerabdrücke genommen und vertrösten uns«, sagt er. Nur weil er und und die anderen Afghanen nicht illegal durch Europa ziehen wollen, sind sie noch nicht dem Beispiel der Tunesier gefolgt. Deren Spuren sind in der norditalienischen Grenzstadt Ventimiglia aufgetaucht. Ein Journalist des Nachrichtenmagazins »Espresso« begleitete einige Flüchtlinge und berichtete, dass sie ungehindert mit der Eisenbahn nach Frankreich fahren konnten.

Von ihren Schicksalsgenossen aus Lampedusa sind in Mineo nur Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea übrig geblieben. Seki, Djamila und Tumi gehören zu ihnen. »Wir sind vor einer Woche aus Lampedusa hier angekommen. Vorher haben wir in Tripolis gelebt und dort als Hausmädchen bei libyschen Familien gearbeitet. Als dort die Schießereien begannen, sind wir weg«, erzählen die drei jungen Äthiopierinnen. Die Bedingungen in dem ehemaligen Wohncamp der US-Soldaten finden sie zwar gut. Aber sie wollen endlich selbst ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie entsprechen dem Typus jener flexiblen und tüchtigen Arbeitskräfte, die in Deutschland gelobt werden, wenn sie ihre darbenden Heimatregionen im Osten verlassen, um woanders Lohn und Brot zu finden. Wer jedoch Afrika oder Asien aus ähnlichen Gründen verlässt, wird in Lager gesteckt und zur Untätigkeit gezwungen.

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