Torheit des Täglichen
Zeichnungen von Alfred Pichel im Stadtmuseum Dippoldiswalde
Eine Wiederbegegnung mit Werken des aus Gera gebürtigen und in Heidenau bei Dresden gestorbenen Malers und Grafikers Alfred Pichel (1896-1977) ermöglicht jetzt das Stadtmuseum in Dippoldiswalde. Dieser Künstler ist wohl sehr zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten. Vielleicht liegt es daran, dass er sich einem Metier verschrieben hatte, das innerhalb der Kunstgeschichte nie so richtig im Mittelpunkt der Betrachtung stand, nämlich der Karikatur.
In Dippoldiswalde kann man sich derzeit überzeugen, dass die Dresdner Kunstszene mit Alfred Pichel einen bemerkenswerten Karikaturisten besaß. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehörte er gar mit seinem zart-linearen, flächenhaft-dekorativen und außerordentlich sensiblen Zeichenstil zu den wichtigsten Erscheinungen. Seine burlesken, höchst komischen Darstellungen fanden u. a. Aufnahme im »Simplicissimus«. Eine Folge grotesker Zeichnungen erschien unter dem Titel »Das lachende Jahr« im Dresdner Limpert-Verlag.
Alfred Pichel kam aus Gera, wie die Maler Otto Dix und Kurt Günther. Beide nur wenig älter als Pichel. Seit 1919 in Dresden lebend, besuchte hier Pichel die Kunstgewerbeakademie und tauchte 1922 ins künstlerische Milieu ein, wo er Anschluss an die Dresdner Sezession fand. Anfangs brachte er nur kleine Bildchen mit neckischen Motiven zu Papier, launige Einfälle für das in Leipzig erscheinende Satireblatt »Der gemütliche Sachse«.
Sein Witz: pointiert, manchmal sarkastisch. Vieles erinnert an den Bildgeschichten-Erzähler Wilhelm Busch. Aber, Pichel war keinesfalls ein Protagonist von Anstandsregeln. Er befasste sich mit den Torheiten und Trivialitäten des Alltags, ähnlich Zille und Erich Ohser, er nahm Mickrigkeit aufs Korn.
Seit 1925 boten sich ihm Möglichkeiten in den Massenmedien. Er zeichnete nunmehr für den »Ulk« und für »Lachen links« und ab 1930 mit steter Regelmäßigkeit für den »Simplicissimus« in München. Der Simplicissimus-Stil hat ihn fortan geprägt. Und als sich das Blatt an das braune Regime anpassen musste, gehörte er wie Josef Hegenbarth zu den wenigen, die sich der Gleichschaltung zu entziehen suchten und sich bemühten, die »Institution Simplicissimus«, wie sie Thomas Mann einmal nannte, zu retten. Es waren vor allem Sittenbilder, die Pichel schuf, von der Logik des total Absurden beherrscht, äußerst humorvoll, manchmal gesellschaftliche Erscheinungen bezeichnend, im Stil eines Karl Arnold oder Olaf Gulbransson. Pointensicher, geistreich wurde die »vornehme Welt« verspottet; ein Gespür für Menschlichkeit in gnadenloser Zeit.
Nach 1945 erschienen Pichels Karikaturen vorwiegend in der »Sächsischen Zeitung«, in »Zeit im Bild«, auch im »Eulenspiegel« und im ND. Bildwitz und Zeitkritik waren die Stärken Pichels, der des Lebens Gebärden und Grimassen zu erfassen suchte – als ein brillanter Erzähler und Bildgenießer.
»Alfred Pichel« Stadtmuseum Dippoldiswalde, bis 22. Mai.
Publikation »Alfred Pichel« von Gert Claußnitzer, 16 Euro.
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