Quälen bis zur Schönheit

Auf Schloss Hardenberg ein Bekenner-Fest: »Mein Kleist«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Schloss Neuhardenberg, nördlich Berlins. Schöne Kulisse für gehobene Kultur. Die Bäume stehen, als könnten sie auf Pfiff hin zum Garderegiment werden, die Häuser schauen aufs Karree, als ob die Verwandlung ins Kasernengelände kurz bevorstünde. Das Preußische ist nie pralles Leben, sondern präzises Konstrukt. Weite und Luftigkeit assoziieren Durchmarsch, Durchschuss.

Doch es wird ein sehr heiterer Nachmittag, obwohl fast jede Rede vom Tode geht. Ein Bekenner-Fest: »Mein Kleist«. Der Flyer vermerkt alle Mitwirkenden alphabetisch, Kleist mittenmang, schöne Gegenwärtigkeit und Beiläufigkeit – das passt zu Justus Fetschers Lächeln, zu seiner leicht-sinnigen Genauigkeit, zu seiner Verliebtheit ins gut sitzende Wort; der Philologieprofessor aus Mannheim konzipierte, nun moderiert er, nein, er geleitet.

Jedem ein Statement. Christoph Hein fragt nach dem Beispiel, das uns Michael Kohlhaas gibt. Wir erfreuen uns seiner Rache, obwohl er ein Mörder ist. Wäre uns nicht eher Goethes Art anempfehlenswert, der den Kohlhaas mit »Schauder und Abscheu« las? Hein fragt, womit wir unsere Kinder literarisch »füttern«? Beriefen sich nicht auch RAF-Terroristen auf Kleist? Staatsfeinde, sagt Hein, »aber um zwei Pferde sahen auch sie sich betrogen«. Hein fragt sehr ernst, aber sagt auch, sich dem »Kohlhaas« dennoch unverwandt gewogen zu fühlen.

Iris Hanika schwärmt von Kleists »verschwenderischer Kommasetzung«, fast schamhaft gesteht sie, »Bücher am besten zu mögen, von denen ich lernen kann, ohne es sagen zu können«. Am berührendsten: Wie sie ohne Druck im Ton, ohne pädagogisches Pathos von Kleist auf den sowjetischen Dichter Leonid Dobytschin kommt, Avantgardist, der 1936 in die Formalismusbespuckung des Stalinismus gerät, seine Leiche wird nie gefunden. Aufgerufen: der Mensch, dem »auf Erden nicht zu helfen war« (Kleist).

Erzähler Wilhelm Genazino behauptet, Kleist spalte die Gefühle derer, die ihm gewogen sein wollen. Liebesbriefe? Drohbriefe! In seiner Unbedingtheit, noch im Schluss, lauere ein »süßlicher Anfangsfaschismus, der einem nur schmecken will, wenn er in der Liebe stattfindet«. Wir sehen an K.s Schicksal, »wie sich im Scheitern Gründe sammeln, warum ein Mensch die Welt gern verlässt«.

An der Wand ist jetzt ein Triptychon zu sehen. Malerei mit Totenkopf. Die Schluss-Szene am Wannsee. Wolfgang de Bruyn vom Kleisthaus Frankfurt an der Oder zitiert Dichters Spruch, das Leben sei viel wert, wenn man's verachte. Devise auch von Florian Bölike, den er vorstellt, »Oderfrankfurter und Kleist-Aktivist«, Straßenkünstler, Sprüher und Lehramtsbewerber, Kleist als Vorbild, »er war chaotisch, immer alles auf Abbruch«. Er und seine Freunde sprühen, wo sie nur können, schnell, oft in Gefahr »bis hin zum Tod auf Gleisen«. Züge bemalen, das nennen sie »einen Regionalzug kriegen«. Privateigentum besprühen sie nicht, aber zugewiesene Plätze kommen auch nicht in Frage, »ich will nicht fragen müssen, ob und wo ich malen darf!«

Dramatiker Oliver Bukowski meint, Kleist sei »an einer modernen Depression« zugrunde gegangen, ein Mann der gehetzten »Generation »Projekt und Praktikum«. Biograf Jens Bisky stellt die Frage: »Was wäre, wenn ...« der Dichter sich nicht erschossen hätte. Theaterregisseur Armin Petras beschreibt das Elend einer Welt, die des Einzelnen Liebesfähigkeit ins Private abdrängt und Zuneigungsenergie nicht als Produktivkraft will; schlimm, wenn der »Apparat des Begehrens« sich nicht hin zur Gesellschaft wenden darf. Aber das würde deren Enge sprengen – um dazuzugehören, muss der Mensch Selbstbeschneidung betreiben, sich an kleine Maße »der eingefrorenen Mitte« anpassen.

Kaffeepause. Dann wird per Podium freundlich geplaudert. Stunder tollen Sätze. »Kleist hat Sätze gequält, bis sie schön waren« (Bisky). »Was soll man bei Kleist im Museum ausstellen? Wir haben nur Flachware« (de Bruyn). »So nennen Sie Bücher?! Da gibt man sich als Schreibender Mühe und ist am Ende – Flachware« (Hein). »Kleist wollte den Beifall der Gesellschaft, aber ohne vergesellschaftet zu werden« (Genazino).

Petras wendet sich an den Sprüher. Er findet es nicht gut, Sprüher und gleichzeitig nett zu sein, sich im Wilden ausleben und zugleich von der Gesellschaft geliebt werden zu wollen.

»Ist der Sprüher noch da?«

»Nee, der musste noch einen Regionalzug kriegen.«

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