Je dunkler die Nacht ...

Die Gefängnisbriefe der Gertrud Schlotterbeck

  • Cristina Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Politisches Buch – Je dunkler die Nacht ...

Ich schreibe Dir aus einem Totenhaus«, klagte Friedrich Schlotterbeck einer Freundin nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Juni 1945. »Meine Mutter wurde von der Gestapo ermordet. Mein Vater wurde von der Gestapo ermordet. Meine Schwester Trude wurde von der Gestapo ermordet. Mein Bruder Hermann wurde zwei Tage vor dem Einmarsch der Franzosen ermordet.« Fast eine ganze Familie war von den Nazis in hemmungsloser Mordswut ausgelöscht worden.

Der Name Schlotterbeck ist in Baden-Württemberg Inbegriff antifaschistischen Widerstands und Märtyrertums. Auf dem Untertürkheimer Friedhof wurde für sie ein Ehrengrab angelegt und ein Ehrenmal errichtet. Eine Straße ist nach ihnen benannt.

Friedrich Schlotterbeck hatte bereits kurz nach dem Krieg eine Broschüre veröffentlicht, in der er den Seinen ein literarisches Denkmal setzte: »Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne«. Heute sind die Bedingungen für die Würdigung von kommunistischen Widerstandskämpfern nicht eben günstig, schon gar nicht in Württemberg. Dennoch hat sich ein schwäbischer Historiker, Günter Randecker, zusammen mit dem Publizisten Michael Horlacher daran gemacht, der Familie Schlotterbeck eine dreiteilige Dokumentation zu widmen. Grundlage dieser war der Nachlass von Friedrich Schlotterbeck, der sich im Besitz seiner Nichte Wilfriede befindet.

Im ersten Bändchen sind die Briefe von Gertrud »Trude« Schlotterbeck enthalten. Kontoristin von Beruf, war sie zunächst im Kommunistischen Jugendverband; die ganze Familie war in der KPD engagiert. »Trude« Schlotterbeck kam bereits 1932 in Untersuchungshaft und wurde – was fast an ein Wunder grenzt – nach dem Machtantritt der Nazis entlassen; man hatte ihr nichts nachgeweisen können.

Während ihr Vater und zwei Brüder inhaftiert und im KZ und Zuchthaus eingesperrt wurden, nahm sie die illegale Arbeit wieder auf. Im Herbst 1933 erneut verhaftet, wurde sie diesmal zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe kam die Schwerkranke für mehr als sieben Monate in das Frauen-KZ Moringen. Danach war ihr eine kurze Ruhepause in Freiheit vergönnt.

»Trude« Schlotterbeck heiratete den Förster Walter Lutz. Mit dem Kriegsbeginn 1939 wurde sie wieder – für drei Monate – inhaftiert. Anfang 1942 wurde ihr Mann in die Wehrmacht eingezogen. Die im August geborene Tochter erhielt nicht zufällig den Namen Wilfriede (»Will Friede«). Der Vater hat sein Kind nicht mehr in die Arme schließen können; er fiel zwei Monate später.

Doch die Tragödie der Schlotterbecks war damit noch längst nicht beendet. Anfang 1944 sprangen über Württemberg zwei von der Sowjetunion beauftragte Fallschirmspringer ab. Beide wurden gefasst. Einer von ihnen erklärte sich aus Todesangst bereit, Spitzel der Gestapo zu werden. Er nahm Kontakt zu der ihm bekannten Familie Schlotterbeck auf und überredete sie, eine Widerstandsgruppe aufzubauen. Als er schließlich seinen Verrat gestand, beschlossen die Schlotterbecks zu fliehen. Doch nur Friedrich gelang es, in die Schweiz zu entkommen. Die übrigen Familienangehörigen wurden von der Gestapo monatelang verhört und gequält und am 30. November 1944 ohne Urteil im KZ Dachau erschossen.

Die Briefe von Gertrud Lutz, geborene Schlotterbeck, aus den Jahren ihrer Haft in den verschiedenen Gefängnissen zeugen von einer charakterstarken, tapferen Frau, die sich nicht unterkriegen ließ und niemals klagte. Der Leser sollte sich jedoch nicht von der aus vielen Zeilen sprechenden Gelassenheit und den von ihr immer wieder bekundeten Optimismus täuschen lassen. Man kann sich vorstellen, was in ihrem Innersten vor sich ging. An einer Stelle in den Briefen ist sie nahe daran, die Fassung zu verlieren. Man hatte ihr das zweijährige Kind entrissen, ins Waisenhaus gesteckt. Es gelang »Trude« Schlotterbeck dann doch noch, die Kleine bei Freunden unterzubringen, die sie über den Tod der Mutter hinaus behüteten. Ein erschütterndes Buch.

Günter Randecker/Michael Horlacher (Hg.): »Mein Gott, Grabenstetten ist mir doch wie ein kleines Paradies in Erinnerung. 100 Jahre Gertrud Lutz geb. Schlotterbeck. Briefe – Dokumente – Bilder. 133 S., geb., 25 €. (Der Erlös vom Buchverkauf wird für die Pflege der Grabanlage der Schlotterbecks verwendet.) Buchbestellungen: GertrudL@gmx.de

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