Ausnahmezustand

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu den Themen der Hamburger Journalistin gehören unter anderem Tierschutz und Tierrechte.
Zu den Themen der Hamburger Journalistin gehören unter anderem Tierschutz und Tierrechte.

Das Trauma des Leidens unter staatlicher Willkür begann für die jetzt freigesprochenen Tierfreunde in Österreich vor drei Jahren: Überfall durch ein Polizei-Spezialkommando, Untersuchungshaft, Bespitzelung, Einschüchterung, schließlich die absurde Anklage gemäß Paragraf 278a, »Bildung einer kriminellen Organisation«. Hat hier der in höchste Kreise der politischen Klasse reichende Arm der Jagd- und Pelzmafia die Muskeln spielen lassen? Liegt einmal wieder ein Missbrauch von Uniform, Robe und Mandat in dem Land vor, das sich von Rechtspopulisten wie Heinz-Christian Strache beinahe widerstandslos an den Rand zur Transformation von der Alpen- zur Bananenrepublik treiben lässt?

Ja, aber diese Erklärungen treffen nicht den Kern des Problems. Dieser Justizskandal ist kein nationaler Ausnahmefall – er ist eine von vielen bitteren Ausläufern des von dem Philosophen Giorgio Agamben beschriebenen »permanenten Ausnahmezustands« der westlichen Welt. Dieser kennzeichnet sich durch den rapiden Abbau von Menschenrechten und der Installation des Feindstrafrechts. Eingesetzt hat dieser Ausnahmezustand nicht erst nach 9/11. Die WTC-Tragödie war lediglich willkommener Anlass, neben den militärischen Raubzügen zur Aneignung der letzten Naturressourcen und der Erschließung neuer Märkte auch gleich die Ausschaltung der restlinken Opposition gegen den Neoliberalismus ideologisch zu forcieren.

Bereits in den 80er Jahren wurde die von der Reagan-Administration in den USA und der Thatcher-Regierung in Großbritannien ausgehende Deregulierung, Privatisierung und der Sozialabbau flankiert von einer legislativen Großoffensive gegen den Feind im Innern: linke Parteien, Gewerkschaften, NGOs und autonome Gruppen. Beispiele: 1984 gründete Scotland Yard Spezialtruppen gegen die Tierrechtsbewegung, die Gesetze gegen die Störung der öffentlichen Ordnung wurden verschärft. 1992 wurde in den USA der Animal Enterprise Protection Act erlassen, ein Jahr später in Österreich der Organisationsparagraf 278a eingeführt. 1992 und 1997 verabschiedete Großbritannien Gesetze gegen zivilen Ungehorsam, 2005 ein umfangreiches Paket von Sonderparagrafen u.a. gegen die Ökologiebewegung. 2008 hat EUROPOL letztere in mehreren europäischen Ländern als »terroristische Gefahr« eingestuft.

Wie der US-amerikanische Journalist Will Potter in seinem Buch »Green Is the New Red« darlegt, erfährt der »Red Scare«, die in den 20er Jahren entfachte und in den 50ern zu ihrem Höhepunkt gelangte antikommunistische Hysterie – die bei Bedarf immer wieder geschürt wird – nach dem Ende des real existierenden Sozialismus politische Kontinuität: Mit einem »Green Scare« gegen alle, die sich der Plünderung der Natur und lückenloser Verwertung der zur Ware erniedrigten Tiere in den Weg stellen.

2005 hatte die marxistische Bürgerrechtlerin Angela Davis in einem Interview mit der französischen Zeitung »L`Humanité« gesagt, in den USA sei das regressivste Zeitalter ihrer Geschichte angebrochen – düsterer als die McCarthy-Ära. Diese historische Finsternis umhüllt längst auch Europa. 2001 lieferte eine völlig außer Rand und Band geratene Staatsgewalt bei den Anti-G8-Protesten in Genua den bluttriefenden Beweis dafür. Unzählige weitere sollten folgen. Angesichts dieser negativen Vorzeichen kann das Kriminalisierungstrauma der 13 Tierrechtler und Tierschützer schwer ein (Happy) End(e) haben. Das weiß freilich auch die Wiener Staatsanwaltschaft und frohlockt bereits, den Freispruch mit Berufung oder Revision zu kippen.

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