Dokumente gegen Bayer werden geprüft
In Großbritannien hoffen Duogynon-Opfer auf neue Klagemöglichkeit
Hunderte Betroffene in Großbritannien schöpfen Hoffnung. Nach einer erfolglosen Klage im Jahr 1982 haben sie dank neuer Beweismittel eine neue Chance auf Entschädigung. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe sei ein entscheidender Schritt, sagte Linda Lee, Präsidentin der Anwaltskammer gegenüber britischen Medien: »Medikamentenprozesse sind sehr schwierig und teuer, denn sie erfordern eine Menge Sachverständigengutachten. Das wäre ohne Prozesskostenhilfe kaum zu machen.«
Beantragt hat die Unterstützung Karl Murphy. Der 38-Jährige gehört zu den Geschädigten, ihm fehlen teilweise Finger und Zehen. Seine Mutter hatte in den 1970er Jahren den hormonalen Schwangerschaftstest genutzt. Er ist sich »100-prozentig sicher«, dass die Einnahme von Primodos für die Fehlbildungen verantwortlich ist. Im Dezember 2009 fand er auf dem Dachboden seiner Mutter einen ganzen Karton mit Dokumenten, die unter anderem belegen sollen, dass Wissenschaftler bei Schering (heute Bayer AG) bereits 1967 eine Häufung von Fehlbildungen nach der Einnahme von Primodos beobachtet und gewarnt hatten.
Die Coordination gegen Bayer-Gefahren zitiert aus einem Bericht eines für Schering arbeitenden Wissenschaftlers vom 13. November 1967: »Die offenkundige Korrelation zwischen der Zunahme geborener Missbildungen und dem Verkauf des Schwangerschaftstests erscheint ziemlich alarmierend.« Diese Dokumente sollen jetzt geprüft werden, bevor über eine Klage gegen Bayer in Großbritannien entschieden wird. Ein erster Prozess war 1982 gescheitert, das Gericht hielt sich eine Wiederaufnahme allerdings offen, wenn neue Beweise vorlägen.
In Deutschland wurde ein erster Prozess im Zusammenhang mit Fehlbildungen von Kindern 1980 eingestellt. Urteilsbegründung: Die Schädigung eines Fötus stelle keinen Straftatbestand dar, da »ein Angriff gegen die Gesundheit eines Menschen im Rechtssinn« nicht vorliege. Erst im Januar dieses Jahres scheiterte vor dem Berliner Landgericht eine Klage auf Akteneinsicht. Die Fälle seien verjährt, begründete der Vorsitzende Richter Udo Spuhl seine Ablehnung. Die Betroffenen kündigten weitere juristische Schritte an. Für eine Aufarbeitung könnten auch die in London gefundenen Dokumente wichtig sein.
Die Bayer AG und zuvor auch Schering haben bis heute jegliche Verantwortung von sich gewiesen. Eine Haltung, die kürzlich Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, in einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden Andreas Fiebig kritisiert hat. Aus seiner Sicht werde »nicht angemessen« mit den Betroffenen umgegangen, da sie keine Möglichkeiten hätten, Einsicht in eventuell relevante Unterlagen zu erhalten. Es wäre gut, wenn das Unternehmen sich nicht mehr »nur auf eine formal korrekte Rechtsposition« berufen würde.
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