Das Hässliche

Theatertreffen Berlin: Fritschs »Biberpelz«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Hang zur Rudelbildung ist beachtlich. Mal bildet sich eine Fluchtmasse, dann wieder ballen sich diese Wölfe zu einem einzigen überschminkten Knäuel. Wir sind in einem Vorort von Berlin, also in einer Kleinstadt, die das jedoch als Verleumdung vehement von sich weisen würde. Lauter Kreaturen: Amtmann, Rentier, Polizeispitzel, Waschfrau, Schiffer, Amtsschreiber – eine gefräßige, kaum zu zügelnde Masse, die alles verschluckt, was sich ihr nähert. In der Mitte dieser faulig schillernden Weltblase: Mutter Wolffen, die Leitwölfin in Sachen Habgier, Geiz und Herzlosigkeit.

Was für eine Welt hinter diesen Stirnen! Da weitet sich Enge zum Panoptikum. Alle Freuden, alle Leiden: Immer ist alles zu klein oder zu groß; nie passt einem das, was man hat. Das liegt daran, dass diesen Wölfen hier ihr Pelz nicht gewachsen, noch nicht einmal geborgt ist. Ein exotisches Schmuckstück, dessen vorgeblicher Wert so ominös bleibt wie ein Aktienpaket aus Fernost. Man ahnt es längst: Es handelt sich um Diebesgut.

Echt und lebensnah wollte Gerhart Hauptmann seinen »Biberpelz«, diese Komödie unter kleinen Leuten, gespielt wissen. Herbert Fritsch, lange Zeit Schauspieler an Castorfs Volksbühne, nun als spätberufener Erfolgsregisseur auf Tour quer durchs Land, von Oberhausen nach Schwerin, von Bremen nach Wiesbaden, hat ihn beim Wort genommen. Sein Blick auf den Alltag von Wehrhahn, Wulkow, Dr. Fleischer & Co ist purer Realismus: eine Farce, die uns recht penetrant an uns selber erinnert.

Kein Witz ohne ein Aber – und so gelingt es Fritsch und einem großartig pantomimisch im Abseits des Hauptmannschen Naturalismus wildernden Ensemble vom Staatstheater Schwerin, die Dinge so auf den Kopf zu stellen, dass am verrückten Normalzustand der Welt kein Zweifel bleibt.

Es ist der Aufstand böser Puppen gegen die, die es gewohnt sind, mit ihnen zu spielen. Auch das ist Emanzipation, wenn auch eine mörderische: die von allen Rücksichten gegen andere. Und so sieht er dann aus, dieser Reigen aufständischer Kleinbürger: verzerrt, hässlich, bizarr. Ein aberwitziger Comic wie schwebend über dem Abgrund des Banalen.

Ein Lehrstück über die allgegenwärtige Sinnleere derer, die nie wissen, was sie tun: die ewige Verschwörung der Kleinbürger gegen sich selbst. Bevor dich einer verdächtigt, verdächtige du ihn! Das ist hier die Überlebensstrategie, die sie alle aneinander fesselt. Sie wollen nichts voneinander wissen – und wissen doch alles. Es ist hoffnungslos, es ist die Hölle.

Dem Rentier Krüger ist von der notorisch guten Mutter Wolffen ein Pelz gestohlen – und bereits gewinnbringend weiterverkauft worden. C´est la vie! Das ändert aber nichts an ihrem guten Ruf, wohl aber an dem von Rentier Krüger, der sich allseits unbeliebt macht, weil er die als untadelig stadtbekannte Witwe Wolffen anzeigt. Üble Nachrede! Wer so etwas macht, der gehört nicht mehr zu uns.

Die Bühne, ebenfalls von Herbert Fritsch entworfen: ein ewiges Provisorium mit fahr- und klappbarer Wohnzimmerwand, ein kollektives Brett vor dem Kopf. Man kalauert sich voran – immer im Kreis, denn unstrittig ist hier nur eins: »Killerpelz« wird »Kellerpilz« Der vom Leben gefolterte Witz schreit vor Schmerz. Doch man hört es nicht, sieht es nur an diesen Puppen: Das Nichts verwandelt ihre Gesichter in Grimassen. Ein Tanz der Untoten, Gefangene im Niemandsland zwischen Sinn und Unsinn, Schmerz und Lachen, Wahrheit und Lüge.

Fritsch ist ein Sittenbild gelungen, das eine Gesellschaft zeigt, die sich im Spiegel der Vorabendserie allzu deutlich selbst erkennt – oberflächlich, aber auf unheimliche Weise. Ein Lehrstück über die innere Leere und die äußeren Rituale der Vernunft, die bloß noch aus Gewohnheit beibehalten werden. Fritsch über seine Mission als Regisseur: »kriminelle Energien zu wecken«. Damit kann man Gesetze brechen, es muss ja nicht ein Mord sein. So sieht es das Personal im »Biberpelz« zweifellos auch.

Und dann ist Schluss – aber zu Ende ist es damit noch lange nicht. Denn im Applaus erwacht die Spiellust dieser bösen Puppen immer wieder neu. Man wird sie nicht los, und wer sich noch nie vor einer Polonaise nach der anderen fürchtete, lernt es jetzt.

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