Kein Datenschutz bei Sozialhilfe?

Kampagne macht gegen Gesetzvorhaben im Schweizer Kanton Bern mobil / Rolf Zbinden engagiert sich gegen die Gesetzespläne. Er ist Mitglied der Partei der Arbeit (PdA) im Berner Stadtrat

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Sie sind in der Berner Kampagne für ein Referendum gegen die Revision des Sozialhilfegesetzes aktiv. Worum genau geht es dabei?
Zbinden: Im Kanton Bern wurde Ende Januar ein Sozialhilfegesetz verabschiedet, das eine Klausel enthält, nach der Sozialhilfeempfänger eine Generalvollmacht für die Offenlegung all ihrer Daten unterschreiben müssen, wenn sie Leistungen erhalten wollen. Das betrifft nicht nur ihre Bankdaten – auch Ärzte und Vermieter können nach dieser Bestimmung befragt werden.

Wir sehen darin ganz eindeutig eine Diskriminierung von Sozialhilfeempfängern. Die Stigmatisierung beginnt schon, wenn durch die Befragung bekannt wird, dass jemand Sozialhilfe beantragt hat. Von den 160 Abgeordneten im Berner Kantonsparlament haben nur vier Grüne die Vorlage abgelehnt.

Wie begründen die Befürworter des Gesetzes ihre Zustimmung?
Es gibt in der Schweiz seit Jahren eine Polemik gegen Sozialhilfeempfänger. Da werden publizistisch einige wenige Fälle aufgegriffen, wo Sozialhilfeempfänger einen BMW gefahren sind. Mittlerweile gibt es in Bern eine Regelung, dass jedem Sozialhilfeempfänger ein Testarbeitsplatz in der City-Reinigung angeboten wird. Wer ihn ablehnt, bekommt keine Sozialhilfe. Zudem wurden zum 1. April dieses Jahres, als das neue Arbeitslosenversicherungsgesetz in Kraft getreten ist, zahlreiche Menschen aus der Arbeitslosenkasse in die Sozialhilfe gedrängt. Das ist der sozialpolitische Hintergrund für den Angriff auf den Datenschutz für diese Menschen.

Wie unterstützen die anderen Parteien und die Gewerkschaften das Referendum?
Die Sozialdemokraten und die Grünen unterstützen das Referendum verbal, beteiligen sich aber kaum am Unterschriftensammeln. Bei den Sozialdemokraten liegt es auch daran, dass deren Abgeordnete das Gesetz mehrheitlich mitgetragen haben. Die Gewerkschaften mobilisieren zeitgleich für eine Initiative zur Einführung eines Mindestlohns. Daher sind es neben der PdA nur weitere kleinere Gruppen, die das Referendum für den Datenschutz unterstützen.

Eine wesentliche Rolle bei der Mobilisierung nimmt das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen ein.

Gibt es Kontakte zu Gruppen, die sich bisher vor allem für Datenschutz im Internet einsetzen?
Auch in dieser Frage ist die Debatte in der Schweiz nicht weit entwickelt. Nachdem dort vor 20 Jahren der Fichenskandal* – ein Schnüffelstaatssystem aus der Zeit des Kalten Krieges – aufgedeckt wurde, gibt es zurzeit raffinierte Versuche, solche Methoden wieder einzuführen, ohne dass daran viel Kritik geübt wird. Diejenigen aber, die sich für den Erhalt des Schweizer Bankgeheimnisses einsetzen, etwa die Liberalen, sind an vorderster Front für den Abbau des Datenschutzes für Sozialhilfeempfänger.

Mit welchem Ausgang des Referendums rechnen Sie?
Wir sind noch optimistisch, dass wir bis zum Monatsende die nötigen 10 000 Unterschriften zusammen bekommen. Allerdings ist die Hürde sehr hoch, wenn man bedenkt, dass wir vom Großteil der Medien totgeschwiegen werden. Sollten wir es schaffen, kommt es zur eigentlichen Volksabstimmung.

Dann würden die Karten ganz neu gemischt, denn Sozialdemokraten und Gewerkschaften müssten sich eindeutig positionieren und könnten dem vollständigen Verlust des Datenschutzes für Sozialhilfeempfangende nicht gut zustimmen.

Fragen: Peter Nowak

* Fiche ist die französische Bezeichnung für Karteikarte.

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