Strauss-Kahn: Graf von Rikers Island?
Zu abrupt, zu dreist, zu einfach – das weltöffentliche Schauspiel der medialen Enthauptung von Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn war atemberaubend. Ein überführter Vergewaltiger muss seiner Strafe zugeführt werden – wie hier aber ein politischer Akteur, ohne jede juristische Prüfung, mal eben aus dem Spiel genommen wird, hat etwas Erschreckendes. Zudem hat die schillernde Geschichte des bodenlosen Falls aus den Glaspalästen der Weltmetropolen ins Verließ der Gefängnisinsel Rikers Island für jeden etwas zu bieten. Verschwörungstheoretiker etwa können sich am wohl kribbelnsten Futter seit Jahren bedienen. Kein Wunder, dass sich deren Zentrum über Nacht aus den USA nach Frankreich verlagert hat. Andere sehen in den drastischen Vorgängen der letzten Tage den Beweis, dass die US-Justiz ohne Ansehen von Amt und Einfluss des Beschuldigten einfach nur vorbildlich der Gerechtigkeit genüge tut.
Das weltweite Verdikt über den »Kaviar-Sozialisten«, der doch immerhin versucht hat, das IWF-Monster zu bändigen, ward verblüffend schnell verkündet. Wahlweise: praktisch bereits belegte Vergewaltigung oder glasklar fingierte CIA-Schweinerei – auf jeden Fall aber der »Point of no Return« für Strauss-Kahn. Beschlossene Sache. Dass die Vorfälle in dieser Weise von Beginn an als geklärt galten, ist der eigentliche Skandal. Niemand darf dem Opfer die Glaubwürdigkeit absprechen. Aber bis ein Gericht zu einer fundierten Entscheidung findet, verbietet es sich schlicht, Politiker auf diese rüde Art aus dem Verkehr zu ziehen. Bevor etwa ein deutscher Parlamentarier auf der Gefängnisinsel verschwindet, muss aus gutem Grund immerhin zuerst die Immunität aufgehoben werden. Selbst wenn man insgeheim Bush oder Kissinger nur zu gerne zwischen Straßenräubern im Strafgericht Moabit sitzen sähe – gefesselt, unrasiert, im zerknitterten Mantel.
Und ja: Für eine Verschwörung gegen Strauss-Kahn werden sich zahllose Motive und potenzielle machtvolle Akteure finden lassen. Doch beweist bekanntlich selbst die skrupelloseste politische Ausbeutung bestimmter Vorgänge noch nicht die Mittäterschaft daran. Und auch für das mutmaßliche Opfer muss die Unschuldsvermutung uneingeschränkt bis zum Richterspruch gelten. Wie fühlt sich wohl eine möglicherweise nun traumatisierte Frau, die laut Umfrage von 54 Prozent der Franzosen für eine von dunklen Mächten gekaufte Lügnerin gehalten wird?
Unbedingt vorausgesetzt, Strauss-Kahn hat die ihm vorgeworfenen abscheulichen Taten nicht begangen: Sollte der implodierte Politstar einst entlastet werden – schmiedet er als moderner Graf von Monte Christo bereits Rachepläne? Wird er seinen angeblich sagenhaften Reichtum nutzen und zum unerhörten Gegenschlag gegen seine de Villeforts ausholen? Oder muss er doch im Knast seine Memoiren schreiben? Fortsetzung folgt.
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