»Ein wirklich viel beschäftigter Nerv«

Der Gesichtsnerv Trigeminus fühlt Schmerzen und Temperaturen – und kann Niesen auslösen

  • Margit Mertens
  • Lesedauer: 5 Min.

Anne wandert über einen schattigen Waldweg. Plötzlich öffnet sich das Dach der Baumkronen und sie betritt einen sonnenüberfluteten Wiesenweg. »Hatschi!« »Gesundheit«, wünscht ihr Begleiter. »Hatschi! Hatschi! Immer wenn ich vom Schatten in die Sonne trete, muss ich niesen«, wundert sie sich. Anne ist mit diesem Phänomen nicht allein, rund jeder vierte Mensch reagiert auf plötzliches helles Licht mit Niesen.

Man vermutet, dass bei Sonnen-Niesern der »Niesnerv« dichter am Sehnerv liegt als beim Rest der Menschen, so dass helles Sonnenlicht quasi irrtümlich den Niesnerv reizt. »Sonnenlicht sollte erwartungsgemäß eine Kontraktion der Pupillen verursachen«, erklärt Samuel Wang, Neurowissenschaftler an der amerikanischen Princeton University. »Doch der Reiz könnte auch auf benachbarte Nervenbahnen überspringen, die ein Kitzeln in der Nase weiterleiten.« Der für die Weiterleitung des Niesreizes zuständige Drillingsnerv oder Nervus trigeminus wird dadurch stimuliert. Das Gehirn gibt deshalb den Befehl »Niesen«.

Der Licht-Nies- oder photische Niesreflex »ist bislang in keiner neurowissenschaftlichen Studie systematisch untersucht worden«, konstatiert Nicolas Langer vom Institut für Neuropsychologie der Universität Zürich. Das wollte er ändern und setzte zehn »Sonnen-Nieser« und eine zehnköpfige Kontrollgruppe verschiedenen Lichtreizen aus und verglich deren Hirnströme. »Das Nieszentrum liegt im verlängerten Hirnstamm«, erläutert Wang. »Wenn diese Region verletzt wird, können Menschen und andere Säugetiere nicht mehr niesen.«

Langers Team stellte bei seiner Studie nun fest, dass die photischen Nieser generell empfindlicher auf Lichtreize reagieren. Die Sonnen-Nieser zeigten nicht nur erhöhte Aktivitäten in der Sehrinde und im Nieszentrum, sondern auch in zwei höher liegenden Hirnarealen, der Insula und dem somatosensorischen Cortex. Diese beiden Areale werden unter anderem durch Schmerz- und Ekelreize und eben auch durch ein Kribbeln in der Nase angeregt.

Diese Ergebnisse sprechen wiederum für eine Beteiligung des Nervus trigeminus am Licht-Nies-Reflex, denn er ist unter anderem für Schmerzempfinden zuständig. Dieser Nerv hat drei Äste, einen Augenast, einen Oberkiefer- und einen Unterkieferast. Der Nerv leitet Berührungsreize und Schmerzen zum Gehirn, er kann riechen und Temperaturen messen. »Er ist ein wirklich vielbeschäftigter Nerv«, bestätigt Wang.

Normalerweise reizt Licht den Augenast. Bei den Sonnen-Niesern wird offenbar auch der Oberkieferast stimuliert, der beim komplexen Niesreflex eine wichtige Rolle spielt. So kann es zu einem durch Licht ausgelösten Niesen kommen.

»Eigentlich ist der Trigeminus dazu da, um im Mund ganz bestimmte Empfindungen auszulösen, die wir, wenn sie nicht zu stark sind, als angenehm empfinden, nämlich alles, was ein bisschen prickelnd, ätzend, beißend oder heiß ist«, erläutert Hanns Hatt, Riechforscher an der Universität Bochum. »Zum Beispiel Peperoni, Pfeffer, Knoblauch, Ingwer oder stark Säure- oder Stickstoffhaltiges.« Wenn der Reiz zu stark ausfällt, zum Beispiel beim Biss auf eine scharfe Peperoni, sendet der Nerv den Notruf »Feuer im Mund« ans Gehirn.

Denn der Drillingsnerv ist auch ein Temperaturfühler. Er deckt alle Temperaturbereiche zwischen 0 und 50 °C ab. »Er hat immer für fünf Grad einen bestimmten Sensor.« Da eine Reihe dieser Sensoren nicht nur durch Temperaturen sondern gleichzeitig von außen durch Düfte oder Gewürze aktiviert werden, leitet der Nerv den gleichen Reiz beispielsweise bei Schärfe und Hitze ans Gehirn.

Sensor vier spricht bei 15 bis 20 Grad und auf Menthol und Eucalyptol an. Daher empfinden wir die Substanzen als kühlend.

Aber der Trigeminus kann noch mehr, er kann riechen. »Selbst wenn jemand völlig geruchsblind ist, kann man mit allen Duftstoffen, die man kennt, diesen Nervus trigeminus stimulieren«, stellt Hatt fest. Die Menschen könnten zwar nicht sagen, ob es Rose ist oder Fisch, aber sie empfänden den Unterschied. »Und das ist dieser Nervus trigeminus, von dem wir bis heute keine Ahnung haben, wie er es schafft, die gesamten Hunderttausende von Duftstoffen, die wir kennen, in gewissem Rahmen zu erkennen und zu unterscheiden, obwohl er mit Sicherheit, das haben wir nachgewiesen, keine dieser klassischen Riechrezeptor-Eiweiße besitzt, die wir in den Riechsinneszellen haben. Er muss irgendein anderes raffiniertes System haben.«

Wenn Düfte aber zu hoch konzentriert sind, wie es schon mal bei Duftlampen vorkommen kann, wird der Drillingsnerv so sehr erregt, dass er Schmerzsignale sendet. Verschiedene Arten von Kopfschmerzen oder Übelkeit können die Folge sein. Denn der Nerv vermittelt vor allem Schmerzen und nimmt zum Beispiel Zahn-, Kopf- und Gesichtsschmerzen wahr. Manche Patienten leiden unter einer chronischen Trigeminusneuralgie, einer Schädigung des Nervs zum Beispiel durch Entzündung oder Verletzung. »Diese bemitleidenswerten Menschen werden diesen Schmerz nie mehr los und können schier unerträgliche Qualen leiden«, weiß Hatt nicht zuletzt durch seinen betroffenen Großvater.

»Man sieht, dieser Trigeminus ist ein ganz wichtiger Nerv. Essen ohne jeden Pfeffer, ohne alles, schmeckt einfach fade. Auf der anderen Seite, wenn man überdosiert, kommt man sehr schnell in den Schmerzbereich. Daher spielt er für die Nahrungserkennung und -bewertung, als Warnung vor Gefahr oder bei der Freude am Essen eine wichtige Rolle«, betont Hatt. Denn die Schärfe sorgt für einen Kick im Kopf: Capsaicin, der Stoff, der Chilis scharf macht, fördert ganz nebenbei die Ausschüttung von Endorphinen, also Glückshormonen, im Gehirn.

Bei so vielen Aufgaben, die der Trigeminus erfüllen muss, kann so ein Nerv schon mal durcheinander kommen und bei grellem Licht ein Niesen auslösen.

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