Atomausstieg ist für Paris ein Reizwort
Frankreichs Regierung fühlt sich in der Energiepolitik zunehmend isoliert in Europa
Die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, bis 2022 aus der Atomenergie auszusteigen, hat die französische Rechtsregierung unvorbereitet getroffen und verärgert. Man nimmt Berlin vor allem übel, nicht zuvor konsultiert oder informiert worden zu sein. Der Unfall im Atomkraftwerk Fukushima stelle die Ausrichtung der französischen Energiepolitik nicht in Frage, erklärte Industrieminister Eric Besson trotzig, auch wenn er »Anlass zu noch größeren Anstrengungen in Sachen Sicherheit ist und diese voranbringen wird«.
Im vergangenen Jahr hatten die französischen Atommeiler einen Anteil von drei Vierteln an der Stromerzeugung des Landes, während es in Deutschland nur gut ein Viertel war. Besson zählte zudem auf, dass sich auch die USA, Japan, China und Indien sowie in Europa Großbritannien, Tschechien und Bulgarien weiter zu Atomstrom bekennen. Der deutsche Ausstieg sei natürlich eine »souveräne Entscheidung«, aber er werde zum verstärkten Einsatz von Kohle und Gas führen und damit zu mehr Klimagasemissionen. »Deutschland wird Atomstrom importieren«, glaubt der Minister zu wissen. Des Weiteren verwies er darauf, dass die Wartung und Modernisierung der vorhandenen 58 Atommeiler in Frankreich direkt und indirekt 100 000 Arbeitsplätze sichern. Der Bau eines neuartigen Europäischen Druckwasserreaktors in Flamanville am Ärmelkanal und die Vorbereitungsarbeiten für einen weiteren in Penly würden »planmäßig fortgesetzt«. Was der Minister verschwieg: Die Bauzeit des Reaktors in Flamanville hat sich gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan bereits um ein Jahr verlängert, die Baukosten sind deutlich gestiegen.
Dennoch ist Besson überzeugt, dass Atomenergie weltweit »unverzichtbar« bleibe, auch wenn in Zukunft alternative Energiequellen wie Sonne und Wind stärker als bisher in den Energiemix einbezogen werden. Er verweist dabei auf Prognosen, wonach sich der globale Energiebedarf bis 2050 im Vergleich zu heute verdoppeln werde.
Auch Premierminister François Fillon will an der Atomenergie unbedingt festhalten und bezeichnet sie als »Garantie für die Energie-Unabhängigkeit des Landes«. Um die Franzosen zu überzeugen, stellte er die Behauptung auf, dass die Privathaushalte in Deutschland schon heute doppelt so hohe Stromrechnungen zu bezahlen hätten wie sie.
Die Vorsitzende des Unternehmerverbandes MEDEF, Laurence Parisot, malt derweil für die Zukunft eine »enorme und politisch nicht unbedenkliche Abhängigkeit Deutschlands von Erdgaslieferungen aus Russland« an die Wand. Und der Pariser Ökonomieprofessor Jean-Marie Chevallier, ein erklärter Atomkraftbefürworter, hält es für »irrational, die billige und sichere Produktion von Strom aufzugeben«.
Die aufgeregten Reaktionen auf die deutsche Entscheidung zeigen, dass sich Frankreich mit seinem »Weiter so« trotz Fukushima in Europa zunehmend isoliert fühlt. Die künftige Rolle der Atomenergie wird auch eine wesentliche Rolle im Präsidentschaftswahlkampf 2012 spielen. Die konservative Regierungspartei UMP von Staatspräsident Nicolas Sarkozy legt sich fest: Kernkraft sei ein »wesentliches Element der Industriemacht Frankreichs«. Die Sozialisten streben in ihrem Wahlprogramm dagegen die »Überwindung der einseitigen Abhängigkeit von der Atomenergie und dem Erdöl« an, ohne sich eindeutig zu positionieren. Lediglich die Grünen verlangen den Ausstieg und machen dies zur Bedingung für die Beteiligung an einer von den Sozialisten geführten Linksregierung. Dieselbe Bedingung hatten die Grünen aber schon 1997 gestellt, gaben sich dann aber damit zufrieden, dass die Sozialisten den Forschungsreaktor Phoenix opferten. Die 58 Atomreaktoren liefen auch unter dem linken Premier Lionel Jospin und seiner grünen Umweltministerin Dominique Voynet weiter.
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