Findling für die verlorene Heimat
Sorben sind sehr beunruhigt über die Braunkohle-Renaissance im Freistaat Sachsen
Es ist ein eigenartiges Zusammentreffen: Mit einem großen Findling wird in Lippen in der Lausitz am übernächsten Samstag daran erinnert, dass große Teile des Dörfchens zwischen 1960 und 1963 von den Baggern des Braunkohlen-Tagebaus Lohsa abgetragen wurden. Zwei Drittel der 250 Einwohner verloren damals ihre Heimat. Der 5,5 Tonnen schwere Stein, der im Rahmen eines sorbischen Gedenktages für die abgebaggerten Dörfer eingeweiht wird, stammt aus dem Tagebau Nochten – jener Grube also, deren weiterer Ausbau der Grund dafür ist, dass auch in Zukunft viele Sorben ihre Wohnorte aufgeben müssen.
Abbau bis zum Jahr 2050?
Natürlich gibt es Unterschiede, sagt Hans Domsch, der nach Lippen geheiratet hat und so das Schrumpfen des Ortes miterlebte. Für die 140 Wegzügler gab es seinerzeit kaum Entschädigungen: »Sie erhielten 'nen Appel und 'n Ei«, sagt der Rentner. Die etwa 1200 Menschen, die nun dem Tagebau Nochten nach der vorgesehenen Erweiterung in der Region Schleife weichen sollen, erhalten einen großzügigen Ausgleich; zudem wird eine gemeinsame Umsiedlung angestrebt. Doch die seelischen Wunden bleiben, sagt Werner Sroka von der Domowina, dem Bund der Sorben. »Es ist und bleibt ein Heimatverlust«, sagt er: »Das kann kein Geld der Welt ausgleichen.«
Derlei mahnende Worte der Sorben fallen in eine Debatte über die künftige Energieerzeugung in Sachsen, in der Braunkohle eine zunehmend stärkere Rolle spielt. Angesichts des schnellen Atomausstiegs hat sich Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu Wort gemeldet und betont, der Freistaat sei und bleibe ein Braunkohleland. Im Landtag stellte er kürzlich in Aussicht, der Energieträger könnte noch bis zum Jahr 2050 gefördert werden – ein Zeitpunkt, zu dem sich nach Ansicht von Grünen und LINKEN längst keine Baggerschaufelrad mehr drehen soll.
Bei den Sorben wird angesichts dessen daran erinnert, dass Tillich aus dem Siedlungsgebiet der katholischen Sorben stammt – das vom Kohlebergbau nicht betroffen ist. Andernorts aber zeigen sich fatale Auswirkungen der Kohleförderung auf die sorbische Kultur. Lippen etwa sei einst ein fast ausschließlich sorbisches Dorf gewesen. Der hier geborene sorbische Patriot und Kaufmann Jan Hajes sah es als Vorzug seiner Heimat an, dass Kinder dort die »göttliche Gabe der Zweisprachigkeit« erfahren. Sogar die Lehrer, betonte er in einem Brief, hätten in Lippen in Zeiten, in denen das nicht selbstverständlich war, Sorbisch sprechen müssen – weil die Schüler ihnen sonst nicht folgten.
Sprache verlor an Zuspruch
Heute ist die Gemeinde Lohsa, zu der Lippen seit 1994 gehört, zwar offiziell ausgezeichnet als »sprachenfreundliche Kommune«. Die Begeisterung für das Sorbische ist aber deutlich kleiner, als man sich das bei der Domowina wünscht.
Er hoffe, sagt Sroka, dass der Gedenktag am 18. Juni, zu dem viele der Wegzügler eingeladen werden, zu einer Rückbesinnung auf die sorbischen Wurzeln in dem Ort führen könne und »in den Bildungseinrichtungen wieder Sorbisch angeboten wird«. Womöglich, fügt er hinzu, »wird auch bei den Eltern wieder das Interesse geweckt«. Rund um den Ort Schleife ist die sorbische Kultur noch deutlich lebendiger. Umso größer sind die Befürchtungen, eine Umsiedlung wegen des anrückenden Tagebaus könne großen Schaden anrichten. Formal wird die Erweiterung der Grube erst im Jahr 2013 beschlossen, sagt Sroka. Weil man aber »hundertprozentig« erwarte, dass in der Abwägung Strom und Arbeitsplätze schwerer wiegen als sorbische Heimatgefühle, arbeite man schon jetzt auf eine gemeinsame Umsiedlung hin.
»Wir bereiten sie schon vor, obwohl sie noch gar nicht beschlossen ist«, sagt der Domowina-Referent – mit dem Ziel, möglichst viel von der sorbischen Kultur und Sprache an die neuen Wohnorte retten zu können. »Ob die Substanz erhalten bleibt, ist aber offen.« Genauso wie die Frage, wie viele Dörfer noch von »Brunica«, wie die Braunkohle auf sorbisch heißt, gefressen werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.