Gesamtschule gewinnt Deutschen Schulpreis

Das Votum ist auch eine politische Ohrfeige für Bundespräsident Christian Wulff

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Göttinger Gesamtschule ist die beste Schule des Jahres. Die Auszeichnung überreichte am Freitag Bundespräsident Christian Wulff – in seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen ein Gesamtschul-Gegner.

Als Moderatorin Sandra Maischberger gestern Mittag um kurz nach zwölf den Gewinner des Deutschen Schulpreises 2011 bekannt gibt, bricht im Foyer der Georg-Christenberg-Gesamtschule in Göttingen riesiger Jubel aus. Schüler, Lehrer und Eltern springen auf und klatschen begeistert Beifall, etliche Menschen liegen sich in den Armen. Denn die Integrierte Gesamtschule (IGS) hat den mit 100 000 Euro dotierten ersten Preis gewonnen, sie ist damit für dieses Jahr die beste Schule Deutschlands. Die Zeremonie in der Berliner Elisabethkirche wird über Laptop und Beamer live in die IGS nach Göttingen übertragen.

Der Deutsche Schulpreis wird seit 2006 von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung zusammen mit dem Magazin »Stern« und der ARD vergeben. Für die Bewertung zieht die Jury sechs Kriterien heran, unter anderem Leistung, Unterrichtsqualität und Schulleben. An der seit 1975 bestehenden Göttinger IGS hat die Juroren nach eigenen Abgaben nahezu alles überzeugt, das Votum des 14-köpfigen Gremiums fiel einstimmig aus.

So setzt die Schule durchgängig auf Teamstrukturen mit größtmöglicher Eigenverantwortung. Im kleinsten Team, der bewusst heterogen zusammengesetzten Tischgruppe, übernehmen Schüler die Verantwortung für das eigene Lernen und Handeln, aber auch für das Weiterkommen der anderen. »Kinder lernen von Kindern und mit Kindern am besten«, sagt Schulleiter Wolfgang Vogelsaenger, der mit einer zehnköpfigen Delegation nach Berlin gereist ist.

Viermal im Jahr trifft sich jede Tischgruppe mit den Lehrern und Eltern bei einem Kind zu Hause und stellt die aktuelle Arbeit vor. Bis zur 8. Klasse werden statt Noten sogenannte Lernentwicklungsberichte an die Schüler vergeben, kein Schüler bleibt sitzen.

Gleichzeitig zählt die IGS zu den leistungsstärksten fünf Prozent der Schulen mit gymnasialer Oberstufe in Niedersachsen. Bei den zentralen Abiturprüfungen schneiden die Schüler hervorragend ab. 2010 machte die beste Schulabsolventin des Bundeslandes mit einem Schnitt von 0,7 hier ihr Abitur, 25 Prozent der Schüler hatten bei ihrem Abschlusszeugnis eine Eins vor dem Komma.

Für Schulleiter Vogelsaenger ist die Auszeichnung »die Krönung der Schulgeschichte«. Andere IGS-Pädagogen, die die Übertragung in Göttingen verfolgen, reagieren ähnlich. »Wir freuen uns sehr und hoffen auf politischen Rückenwind«, sagt Kunstlehrer Jürgen Freeriks. Auch Kollegin Doro Töllmer sieht in dem Votum ein »starkes politisches Signal«.

Die Kameras sind zu Bundespräsident Christian Wulff geschwenkt, in das Jubelgeschrei vor der Leinwand in Göttingen mischen sich laute Pfiffe und Buh-Rufe. Als der CDU-Politiker 2003 Ministerpräsident in Niedersachsen wurde, trat er mit dem Versprechen an, den Gesamtschulen den Garaus zu machen. Die Landesregierung verbot die Neugründung von IGS und setzte dafür ganz auf das traditionelle dreigliedrige Schulsystem.

Am Freitag kommt Wulff nicht umhin, die IGS etwas schmallippig als erfolgreiche Schule zu bezeichnen. Sie habe ihm in seiner früheren Funktion allerdings »viel Kopfzerbrechen« bereitet. SPD und LINKE nutzen die Preisverleihung zu Wahlkampf-Statements. »Das ist ein fabelhafter Erfolg«, sagt der Göttinger SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Oppermann. »Er zeigt, dass gemeinsames Lernen das zukunftsweisende Konzept ist.« Der Landtagsabgeordnete der LINKEN, Patrick Humke, sieht sich in der Ansicht bestätigt, »dass gemeinsamer Unterricht für alle funktioniert und dass er dem Selektions-Konzept von CDU und FDP überlegen ist«.

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