Verschwiegene Risiken

Erstmals klagt nun auch in Deutschland eine Frau gegen Bayer und die Verhütungspille »Yasminelle«

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Felicitas Rohrer hat den Beipackzettel ihrer neuen Pille gelesen. Von ihrer Gynäkologin war die sportliche Nichtraucherin nicht zur Risikogruppe gezählt worden, bei der Verhütungsmittel mit Vorsicht zu wählen wären. Außerdem werde »Yasminelle« doch so gut vertragen, vom Hersteller gar mit einem »Figur-Bonus« beworben, hieß es. Über Alternativen wurde nicht gesprochen. Felicitas Rohrer bekam gleich in der Praxis eine Gratispackung und einen Schminkspiegel.

Nach der Einnahme des Medikaments verschlechtert sich jedoch der Gesundheitszustand der angehenden Tierärztin. Sie treibt weiterhin mehrmals in der Woche Sport, kommt aber schneller außer Atem. Die Beschwerden nehmen zu, bis sie im Juli 2009 zusammenbricht und in die Freiburger Universitätsklinik aufgenommen wird. Auf der Intensivstation kommt es zu Atmungs- und Herzstillstand. Die Lunge wird geöffnet und ist beidseitig voller Blutgerinnsel. Während der vierstündigen Notoperation ist Felicitas Rohrer 20 Minuten klinisch tot, dann beginnt das Herz wieder zu schlagen. Die Ärzte suchen intensiv nach der Ursache für die Lungenembolie. Am Ende wollen sie es selbst nicht glauben: Keine Auto-Immunerkrankung, keine Vorerkrankungen, keine erbliche Belastung im venösen Bereich, nur die Pille bleibt als mögliche Ursache übrig.

Völlig erholt hat sich die 26-jährige Frau aus dem Badischen bis heute nicht. Sie muss auf Dauer Blutgerinner nehmen, kann deswegen vermutlich keine Kinder bekommen. Ihren Beruf als Tierärztin wird sie nicht ausüben.

Sie hat inzwischen mit drei anderen betroffenen Frauen eine Selbsthilfegruppe gegründet. Auf ihrer Webseite informieren sie über ihre Erfahrungen mit vermeintlich sicheren Verhütungsmitteln, suchen nach Alternativen für junge Frauen und Mädchen. Täglich kommen Anfragen per Mail. Felicitas Rohrer lernt, dass der Wirkstoff ihrer Pille, Drospirenon, zunächst als Entwässerungsmittel erforscht wurde. Darauf basieren die Kontrazeptiva Yasmin, Yasminelle und Yaz sowie Aida und Petibelle der Bayer-Tochter Jenapharm. Mit Yaz, Yasmin und Yasminelle macht Bayer mehr als 1,1 Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Zweimal sprach Rohrer vor der Aktionärsversammlung des Leverkusener Konzerns. »Die Rednerliste ist ab 7.30 Uhr offen. Einmal stand ich auf dem ersten Platz, dann auf dem dritten Platz. Gesprochen habe ich, wie andere Kritiker, erst am Nachmittag. Dann sind von den 3000 Aktionären noch ein paar hundert im Saal«, berichtet sie. »Die Redner für die Entlastung des Vorstandes haben 20 Minuten Zeit, die Gegner neuerdings sieben Minuten statt bisher zehn.« Rohrer fordert, dass Bayer besser über die Nebenwirkungen informieren muss. Das Unternehmen soll unabhängige Studien anerkennen und in seine Produktpolitik einbeziehen. Eine niederländische Untersuchung weist nach, dass das Risiko für venöse Thromboembolien unter Drospirenon 6,3 Mal höher ist als bei Frauen, die nicht hormonell verhüten. Bayer soll außerdem für Schäden, die Frauen bereits erlitten haben, Verantwortung übernehmen.

Nichts geschieht, auch wenn nach ihren Reden weniger Aktionäre den Vorstand entlasten. Die Bayer-Reaktion erscheint ihr kalt und herzlos. Aber sie ist überzeugt: »Ich habe Recht. Ich bin kein Einzelfall. Da muss sich etwas ändern.«

Schließlich entscheidet sie sich dafür, gegen die Bayer Vital GmbH zu klagen – diese Bayer-Tochter vertreibt Yasminelle. In der Klage von Ende Mai geht es um Schadenersatz und Schmerzensgeld, aber auch um einen Auskunftsanspruch hinsichtlich aller Fakten zur Wirkung von Drospirenon. Zwölf Todesfälle sind in Deutschland nachgewiesen, über 190 in den USA. Weltweit sind nach eigenen Angaben von Bayer 8000 Verfahren aufgrund von massiven Nebenwirkungen der drospirenon-haltigen Kontrazeptiva anhängig, davon über 6500 in den USA.

Felicitas Rohrer vermutet, dass sich das Verfahren über Jahre hinziehen wird. Sie weiß, dass ein Riese wie Bayer viele gutbezahlte Anwälte aufbieten kann. Trotzdem ist sie vorsichtig optimistisch. Und sie wird weiterhin die Mails der Frauen beantworten, die sich an die Selbsthilfegruppe wenden, die Briefe von Eltern, deren Tochter gestorben ist und die sich fragen, ob das mit der Pille zusammenhing. Sie wird auf ihr neues Berufsziel als Wissenschaftsjournalistin hinarbeiten.

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