Mindestlohn als Spielball der Außenpolitik

Neue Wikileaks-Enthüllung: US-Botschaft in Haiti machte Stimmung gegen bessere Sozialstandards

  • Hans-Ulrich Dillmann
  • Lesedauer: 2 Min.
In Haitis Freihandelszonen werden vor allem Textilien für US-Konzerne zusammengenäht – nicht zuletzt wegen der extrem niedrigen Löhne.

US-Diplomaten haben gemeinsam mit haitianischen Mittelsmännern Druck auf Regierung und Parlament des Karibikstaates ausgeübt, um eine Anhebung des Mindestlohnes zu verhindern. Ein von der Enthüllungsplattform Wikileaks im Internet veröffentlichter, als »vertraulich« eingestufter Bericht der US-Botschaft in Port-au-Prince belegt, dass Mitarbeiter intensiven Kontakt mit Regierungsstellen hatten, um die Investitionen von US-Unternehmen nicht durch ein garantiertes Tageseinkommen zu gefährden. »Das Mindestlohngesetz ließ die ökonomische Realität außer Acht«, heißt es in dem am 6. Oktober 2009 abgesetzten Bericht nach Washington. Veröffentlicht wurde die Botschaftsdepesche in der Tageszeitung »Haïti Liberté« in Zusammenarbeit mit der linken US-Wochenzeitung »The Nation« und dem »Spiegel«.

Im Mai 2009 hatte das haitianische Parlament, in dem die Regierungspartei Inite (Einheit) in beiden Kammern über eine Mehrheit verfügte, ein Gesetz beschlossen, den Stundenlohn von umgerechnet 15 auf 44 Euro-Cent anzuheben. Damit sollte den Beschäftigten im Industriesektor ein Tageseinkommen von rund 3,50 Euro garantiert werden. Lediglich elf Prozent der in Haiti Beschäftigten haben in der Industrie einen Arbeitsplatz, zumeist in den Freihandelszonen, wo ausländische Produkte steuerfrei verarbeitet werden. Die Mehrzahl dieser Arbeitsplätze finden sich in der Bekleidungsindustrie (rund 150 000) – einheimische Firmen lassen im ärmsten Land Lateinamerikas Textilien im Auftrag internationaler Marken wie Fruit of the Loom oder Levi’s zusammennähen. Das Gros der Bevölkerung hat dagegen kein festes Einkommen – 80 Prozent müssen umgerechnet mit weniger als 1,40 Euro den täglichen Lebensunterhalt bestreiten, die Hälfte hat gerade mal 70 Euro-Cent.

Obwohl die Einheitspartei den Gesetzesentwurf eingebracht und durchs Parlament gebracht hatte, weigerte sich Staatspräsident René Préval, das Gesetz zu unterschreiben. Nach langem Gerangel in Ausschüssen wurde dann im August 2009 bei einer erneuten Abstimmung der Mindestlohn auf umgerechnet 2,15 Euro festgelegt.

Mit den von Wikileaks veröffentlichen Botschaftsdepeschen lüftet sich der Schleier über das damalige Hickhack. Der US-Diplomat, der das Schreiben an seine Vorgesetzten absetzte, berichtet von Treffen mit Préval und mit Parlamentariern, um diese für die wirtschaftlichen Konsequenzen »unrentableren« Investitionsbedingungen zu sensibilisieren. Wiederholt klärten auch Vertreter der Fabrikbesitzer Parlamentsvertreter über die Folgen zu hoher Lohnkosten auf – sprich, sie drohten mit der Schließung ihrer Manufakturen und dem Verlust von Arbeitsplätzen.

Inzwischen sah sich der Textilfabrikant Levi Strauss & Co. zu einem Dementi veranlasst, das aber auch als Bestätigung der Berichte verstanden werden kann: »Wir haben uns weder bei der haitianischen Regierung gegen eine Erhöhung des Mindestlohnes eingesetzt noch haben wir jemanden beauftragt, dies in unserem Namen zu tun.« Präsident Préval hatte schon im Vorfeld sein Augenmerk darauf gerichtet, dass keine weiteren »Investitionshemmnisse« die wenigen Industriebetriebe Haitis belasten.

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