Haitis Präsident erlitt erste Schlappe
Parlament lehnte neuen Regierungschef ab
Politische Stabilität, Wirtschaftswachstum und eine Verbesserung der Lebenslage versprach der neue haitianische Staatspräsident Michel Martelly den Wählern im Armenhaus Lateinamerikas. Auf die ersten Schritte zur Einlösung seiner Versprechen warten die zehn Millionen Haitianer noch.
Knapp fünf Wochen nach seiner Amtsübernahme am 14. Mai hat sich der 50-jährige Musiker mit der markanten Glatze tief in den Fangstricken des parlamentarischen Prozederes in Haiti verheddert: Das Parlament, in dem Martellys Partei »Repons Peyizan« lediglich drei von 99 Abgeordneten stellt (im Senat ist die »Bürgerantwort« gar nicht vertreten), hat den vom Präsidenten nominierten Regierungschef abgelehnt. Martelly muss einen anderen Kandidaten als den Unternehmer Daniel Gerard Rouzier präsentieren.
Die erste schwere Niederlage trifft den Staatschef zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nicht nur, dass er gerade erst sein Amt angetreten hat und provisorisch in einem Palast residiert, der beim Erdbeben am 12. Januar vergangenen Jahres weitgehend zusammengestürzt ist. Während das Parlament hitzig über seinen Premierskandidaten debattierte, befand sich »Sweet Micky«, wie ihn seine Anhänger rufen, zu allem Überfluss auch noch zur »routinemäßigen« ärztlichen Untersuchung in den USA, wo er zuvor jahrelang gelebt hat.
Die politische und parlamentarische Unerfahrenheit, die ihn für einen Teil der haitianischen Wähler attraktiv gemacht hatte, scheint ihm jetzt zum Nachteil zu gereichen. Zu bedenken ist, dass sich von 4,7 Millionen Berechtigten gerade mal eine Million an der zweiten Runde der Präsidentenwahl beteiligt und ihn mit 67 Prozent der Stimmen zum Staatsoberhaupt gekürt hatten.
Provokanter und ignoranter hätte die Bestellung Rouziers zu seinem Kabinettsvorsteher nicht ausfallen können. Bereits kurz nach dem Amtseid von »Tèt Kale« (Glatzkopf), wie Martelly auch genannt wird, hatte die geplante Nominierung für heftige öffentliche Reaktionen in Haiti gesorgt. Der 51-jährige Rouziers aus Port-au-Prince gilt als knallharter Vertreter eines westlich orientierten Kapitalismus. Er regiert über ein Imperium von Unternehmen. Dazu gehören SunAuto, einer der großen Autoimporteure, Banken, Kreditanstalten und der Stromanbieter E-Power. 2004 war er maßgeblich am Sturz des Präsidenten Jean-Bertrand Aristide beteiligt. Noch mehr ist vielen sein wirtschaftspolitisches Credo ein Dorn im Auge. Vor dem USA-Senat forderte er bereits im März 2004 die Schaffung von Freihandelszonen ohne jegliche Importzölle in Haiti und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, damit »ausländisches Kapital ins Land fließen kann«. Rouzier sei »erzkonservativ und Anhänger einer neoliberalen Wirtschaft«, urteilt der Journalist Kim Ives in der Zeitschrift »Haiti Liberte«.
Dass Martelly auf die sehr frühe Ablehnung seines Favoriten nicht reagiert hat, sondern stur an seiner Entscheidung festhielt – und scheiterte –, lässt weitere Konfliktlinien deutlich werden. Er habe die Unterstützung der Kammerpräsidenten verkündete er noch vor seiner Abreise in die USA. Ein Trugschluss, wie sich jetzt zeigt.
Die Gefolgsleute des abgelösten Präsidenten René Préval in der dominierenden Inité-Partei werden diesen ersten Sieg als kleine Rache für ihre Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen auskosten: Ihr Kandidat war wegen Unregelmäßigkeiten vom Urnengang ausgeschlossen worden. Derweil steht der bisherige Regierungschef dem Übergangskabinett vor. Auch fünf Wochen nach der Amtsübergabe hat Préval also noch immer ein gewichtiges Wort in der Regierungspolitik mitzureden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.