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Von Menschen, die auszogen, eine Schule zu gründen

In Schleswig-Holstein planen Lehrer eine reformpädagogische und demokratische Bildungsstätte

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 7 Min.
»Vertrauen, Respekt, Verantwortung.« Die drei Pädagogen Gesine Machold, Robert Welti und Sebastian Deichmann gehören zu den Initiatoren der demokratischen Schule in Ahrensburg.
»Vertrauen, Respekt, Verantwortung.« Die drei Pädagogen Gesine Machold, Robert Welti und Sebastian Deichmann gehören zu den Initiatoren der demokratischen Schule in Ahrensburg.

Manchmal wacht man morgens auf und weiß, was man zu tun hat. Ohne langes Nachdenken ist die Idee da und es fällt einem wie Schuppen von den Augen. So oder so ähnlich geht es mitunter vielen Menschen. Gefragt nach den Gründen fallen ihnen Tausende ein, doch warum der Gedanke auf einmal konkret morgens da war, können sie nicht mehr genau beantworten.

So ging es auch Robert Welti, einem Geologen aus Hamburg. »Ich bin eines Tages aufgewacht und habe gedacht – ich muss eine Schule gründen«, so beschreibt Welti seinen persönlichen Zugang. Natürlich entstehen solche Ideen in den seltensten Fällen im luftleeren Raum. Dem 32-Jährigen ging das Thema Schule schon lange durch den Kopf. Die eigene Schulzeit hat er als grauenhaft in Erinnerung. »Die klassische Schule kann depressiv machen und bietet ihren Schülern oftmals kaum Orientierung«, fasst der diplomierte Geologe seine Erfahrungen zusammen. Bald nach seinem Aha-Erlebnis machte er sich im Internet auf die Suche nach Gleichgesinnten. Ihm hatte es die Idee der demokratischen Schule angetan.

Die Handlungsfähigkeit der Schüler stärken

Demokratische Schulen gibt es nunmehr seit fast 100 Jahren. Die Bekannteste ist bis heute die Summerhill-Schule in Leiston (England). Begründet wurde sie 1921 von dem schottischen Pädagogen A. S. Neill. Sie verstand sich bewusst als reformpädagogische Schule, die die bis heute gültigen Prinzipien der demokratischen Schulen begründete. Schüler sollen an allen Entscheidungsprozessen beteiligt und in ihrer eigenen Handlungsfähigkeit bestärkt werden. Sie sollen lernen, Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen in die eigenen Stärken erlangen. Rahmenrichtlinien sucht man ebenso wie Noten im Schulunterricht vergeblich. Stattdessen setzte Neill auf die »selbstregulative Erziehung«.

Ableger der Summerhill-Schule gründeten sich in den folgenden Jahrzehnten auf der ganzen Welt. Besonders in den USA erhielt der Gedanke der free schools unter anderem mit den Sudbury-Schulen regen Zuspruch. Größere Verbreitung haben demokratische Schulen darüber hinaus in Israel, wo es auch ein eigenes Forschungsinstitut zur demokratischen Bildung gibt. In Deutschland gibt es ebenfalls einige demokratische Schulen, die aber immer wieder von staatlichen Stellen kritisch beäugt werden.

»Ich habe viele demokratische Schulen in Kanada und den USA besucht und war beeindruckt von den Pädagogen, die bereits über 40 Jahre das Konzept erfolgreich umsetzen«, beschreibt Sebastian Deichmann seinen persönlichen Zugang zu der Thematik. Der 34-Jährige absolviert gerade sein Referendariat an einer staatlichen Schule in Hamburg-Altona. Die Idee der demokratischen Schule beschäftigt ihn jedoch schon mehrere Jahre. Bereits 2004 besuchte er eine solche Einrichtung in Kanada – und war begeistert. »Gleichzeitig dachte ich, das klappt in Deutschland nie, bis mich eine Freundin darauf aufmerksam machte, dass es solche Schulen auch hier gibt«, erzählt Deichmann. Der angehende Lehrer schrieb seine Examensarbeit über die Frage, ob demokratische Schulen den aktuellen Anforderungen noch entsprechen. Sein persönliches Fazit war ein eindeutiges »Ja« und so hat er 2008 zusammen mit Robert Welti begonnen, die bislang nur theoretische Idee in die Praxis umzusetzen.

»Richtige Aufbruchstimmung habe ich dann bei der 1. EUDEC-Konferenz erlebt, der European Democratic Education Community, die die Idee der demokratischen Schule auf europäischer Ebene vernetzt. Die Konferenz fand im Jahre 2008 in Leipzig statt und hat Deichmann fasziniert. »Von da ab war klar: So eine Schule gründen wir in Hamburg«, betonen die beiden Initiatoren. Der Gedanke einer komplett basisdemokratischen Schule, in der die Schüler über das intrinsische, also von innen kommende, Lernen zum Erfolg kommen begeisterte schnell auch die ersten Bekannten und Freunde. Ein Sozialpädagoge und der Medientechniker Benjamin Schröder stießen zu der Initiative.

Die verschiedenen beruflichen Hintergründe der einzelnen Beteiligten sehen alle in der Gruppe als Stärke an. Zwar wird Robert Welti nicht unterrichten, da ihm als Geologen das 2. Staatsexamen fehlt, er wird jedoch als Bürokraft auch für die Schüler ein Ansprechpartner sein. »Wenn ein Schüler nach dem Unterricht oder in der Pause mit einer konkreten Frage kommt, bin ich selbstverständlich Ansprechpartner«, so Welti. Im Augenblick arbeitet er als Selbstständiger in der Erdölbranche und wird mit dieser Vorerfahrung viel Authentizität in die Schule einbringen.

Idealismus und Selbstausbeutung

Aber es kamen auch ausgebildete Lehrer zu der Gründungsinitiative, die mit dem staatlichen Schulsystem haderten. »Der unglaubliche Druck und der starre 45-Minuten-Rhythmus haben bei mir die Unzufriedenheit wachsen lassen«, meint die Grundschullehrerin Gesine Machold. Die 39-Jährige hat sieben Jahre an staatlichen Grundschulen gearbeitet und ist seit knapp 1,5 Jahren bei der Initiative dabei. Für ihren Traum einer demokratischen Schule ist sie bereit, genau wie ihre Mitstreiter, mit deutlich weniger Gehalt nach Hause zu gehen. Denn soviel wie an einer staatlichen Schule wird man an der demokratischen Schule mit Sicherheit nicht verdienen. »Da steckt viel Idealismus drin und wir werden uns bestimmt selbst ausbeuten«, vermutet Sebastian Deichmann schmunzelnd.

Das Kultusministerium prüft noch die Anträge

Für die mittlerweile acht Beteiligten war schnell klar, dass die Schule nicht in Hamburg stehen würde. »Das lag nicht an einer Abneigung gegenüber Hamburg, sondern schlicht und ergreifend an der anstehenden Schulreform, die sehr viele Unwägbarkeiten enthielt«, erläutert der angehende Lehrer. So war lange nicht klar, ob die Primar- und Stadtteilschulen eingeführt werden. Und allein für den Antrag auf eine nichtstaatliche Schule hätte die Initiative 3000 Euro berappen müssen.

Auf den Standort Ahrensburg kam die Gruppe dann mehr oder weniger durch einen Zufall. Sebastian Deichmann sollte an der Uni Hamburg einen Vortrag zu demokratischen Schulen halten, doch aufgrund fehlender Werbung der Ausrichter kam nur eine Person zu der Veranstaltung. »Robert hatte mir kurz vor dieser Veranstaltung erzählt, dass in Ahrensburg auf einem Aushang in der Bücherei Mitstreiter zur Gründung einer demokratischen Schule gesucht würden. Kurz darauf betrat Ulrike Hulin als einzige Zuhörerin den Saal. Sie hatte den Aushang in Ahrensburg gemacht«, quasi eine Fügung des Schicksals, so Deichmann. Ulrike Hulin gehört seit diesem Zusammentreffen ebenfalls zum Gründungsteam.

Die Antragstellung fokussierte sich fortan auf Ahrensburg, das bereits zu Schleswig-Holstein gehört und demnach nicht von der Hamburger Schulreform betroffen ist. Den Antrag selbst hat die Gruppe dann im Mai 2010 gestellt. Ihrer Wunschschule gaben sie den Namen Infinita. »Wir wollten einen kurzen und knackigen Namen. Ich habe dann nach nicht einengenden Wörtern für Lernen gesucht und kam dann auf den Namen. Er steht für ›ohne Grenzen‹«, erklärt Robert Welti die Namensgeschichte.

Seit nunmehr einem Jahr wird der Antrag der Initiative nun im Ministerium für Bildung und Kultur in Kiel geprüft. Die Schulgründer in spe mussten in der Zeit immer wieder Konkretisierungen nachschieben. »Die weitgehende Demokratie macht der Behörde Sorgen. Sie sehen das System dadurch als potenziell instabil an«, fasst Deichmann die Argumentation des Ministeriums zusammen. Auf der Schulversammlung soll schließlich auch demokratisch über den Etat und die Unterrichtsinhalte abgestimmt werden. Das dabei auch Minderjährige ein Stimmrecht haben, weckt Befürchtungen. Momentan ist durch die noch nicht endgültige Prüfung der Schulbeginn unklar. Eigentlich stehen alle in den Startlöchern und wollen zum kommenden Schuljahr loslegen. Doch noch haben sie kein grünes Licht und ohne dieses können sie auch keine Schulräume anmieten. »Wir haben 90 Voranmeldungen für die nächsten Jahre und könnten sofort loslegen. Im ersten Jahrgang würden wir 40 Schüler aufnehmen«, so Deichmann. Alle Beteiligten sind optimistisch, dass es zum August dieses Jahres klappen kann. Die Gebäudesuche muss dann sehr schnell gehen. Einen Wunsch haben aber alle an das zukünftige Schulgebäude: Es soll viel grün drumherum sein.


In Ahrensburg, vor den Toren Hamburgs, wollen engagierte Pädagogen eine demokratische Schule ins Leben rufen. Ihre Pforten soll die Schule mit dem Namen Infinita bereits im August öffnen, doch noch fehlt die endgültige Zustimmung aus dem Kieler Kultusministerium.

Demokratische Schulen sind Schulen, die nach folgenden Prinzipien funktionieren:

1. Es gibt bewusst keinen für alle Schüler verbindlichen Lehrplan,

2. möglichst viele Belange des schulischen Zusammenlebens werden basisdemokratisch geregelt, wobei jeder Schulangehörige eine Stimme hat,

3. jeder Schüler kann sich frei in der Schule bewegen, solange er die Freiheit Anderer nicht einschränkt oder gegen von der Gemeinschaft beschlossene Regeln verstößt.

Das Konzept der demokratischen Schule zielt darauf, selbstbestimmtes Lernen in Eigenverantwortung zu fördern.

www.infinita-schule.de

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